• Ei tuloksia

Ib.4. Die Stilbildungsschule und Cosima Wagners Einfluss auf Scheidemantel

Am 23. März 1865 beendete Wagner seine Schrift Bericht an Seine Majestät den König Ludwig II. von Bayern über eine in München zu errichtende deut-sche Musikschule.155 Dort erklärt Wagner, was er sich von einer Musikschule erwartete. Tatsächlich sollte diese Schule mit Friedrich Schmitt und Ludwig Schnorr von Carolsfeld realisiert werden. Zu dieser Zeit war Wagner auch in Verbindung mit Scheidemantels Lehrer Stockhausen und bat ihn ebenfalls an diesem Vorhaben teilzunehmen. Stockhausen musste jedoch absagen, da er in Hamburg engagiert war. Schließlich scheiterte das Vorhaben. 1877 versuch-te es Wagner noch einmal in Bayreuth. Diesmal sollversuch-te Julius Hey die Schule leiten. Ferner hoffte Wagner auf die Hilfe Liszts und anderer Musiker wie dem Klaviervirtuosen Karl Klindworth (1830–1916). Es meldeten sich aller-dings nur ein halbes Dutzend Interessenten. 156 Des Weiteren war Julius Heys

152 Hey, 1884, Gesanglicher Teil, S. 46.

153 Ebd. S. 46ff.

154 Siehe hierzu GB, S. 135 und S. 137.

155 Briefe und Briefwechsel in Einzelausgaben: König Ludwig II und Richard Wagner:

Briefwechsel, S. 4501. Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schrif-ten und Briefe, S. 28127 (vgl. BW-Ludwig II. Bd. 5, S. 187).

156 Carl Friedrich Glasenapp: Das Leben Richard Wagners: Sechster Band, S. 77. Digitale

„Aufstellung der voraussichtlichen Kosten für seine Niederlassung am neuen Bestimmungsort“ kompliziert.157 Cosima schrieb in ihr Tagebuch: „Herr Hey macht gar große Forderungen!“ und zweifelte an der Realisierung des Pro-jekts.158 So kam es, dass auch der zweite Versuch misslang. Womöglich waren es Heys Forderungen sowie Cosimas etwas gehässige Kommentare über den Gesangslehrer, die dazu beitrugen, dass der dritte Versuch eine Stilbildungs-schule zu gründen nicht mit Hey unternommen wurde.159

1892 wurde die Stilbildungsschule unter der Leitung von Julius Kniese gegründet. Bis 1905, das heißt bis zu Knieses Tod, war es Aufgabe der Schule geeignete Sänger für die Werke Wagners auszubilden. Nach Luther kann die-ser Versuch als „gescheitert“ angesehen werden.160 Lediglich zwei Absolventen der Stilbildungsschule, nämlich „der Buffo- und Charaktertenor Hans Breuer“

(1868—1929) sowie Alois Burgstaller, erreichten internationales Renommee, aber auch sie waren „allenfalls Spezialisten für ein begrenztes Wirkungsfeld“

und somit wenig brauchbar für die Ensembles der damaligen Opernhäuser.161 Karl Scheidemantel nahm schon früher an den Bayreuther Festspielen teil. Sein erstes Engagement war im Jahre 1886.162 Er hatte schon mit Cosima Wagner gearbeitet, als Knieses Bedeutung noch nicht groß war. Der Schrift-wechsel, der am Ende dieser Arbeit angefügt ist, zeugt davon, dass Schei-demantel tief beeinflusst wurde durch Cosima Wagner. Er spricht von einer

„künstlerische[n] Anregung sonder gleichen [sic]“. Ferner betont er, dass ihm Cosima Wagners Überlegungen über die Kunst wichtig waren:

Und wenn mein Erfolg bei Ihnen nicht anders gewesen wäre, als daß ich Sie sehr oft sehr gut verstanden habe. d.h. ich an Ihrer Hand im Heiligtum der Kunst wandelte und so den großen Weg vor mir sah, so müßte ich für alle Zei-ten die Bedeutungskraft mit Ihnen als ein glückliches Ereignis preisen.

Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe, S. 47955 (vgl.

Glasenapp-WagnerBio Bd. 6, S. 28-29).

157 Ibid.

158 Cosima Wagner: Die Tagebücher: Band I, S. 4047. Digitale Bibliothek Band 107:

Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe, S. 37208 (vgl. Cosima-Tagebücher 1, S.

1075).

159 So heißt es in ihrem Tagebuch: „Beim Abend-Tisch Heiterkeit über das Scheitern der Schule, welche seltsame Leute wir alles hierher bekommen, Hey und seine 13 Kinder,

‚auch führt er immer seine Amme bei sich‘, sagt R.“ In: Cosima Wagner: Die Tagebü-cher: Band II, S. 167. Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe, S. 37858 (vgl. Cosima-Tagebücher 2, S. 63).

160 Luther, 2002, S. 93.

161 Ebd. S. 95.

162 Trede, 1911, S. 32.

Zwar zeigt Scheidemantels Rhetorik in seinen Briefen, dass er bemüht war, um angemessene Partien in Bayreuth zu kämpfen, doch ist kaum zu glau-ben, dass seine Beschreibungen über Cosimas leitende Hand vorgeheuchelt waren. Es ist daher anzunehmen, dass Scheidemantel von Cosima persönlich die späteren Ansichten Wagners über die Gesangskunst übermittelt bekam.163 Nach Jens Malte Fischer hätte Cosima die positiveren Bemerkungen Wagners über die Belcanto-Kultur später verschwiegen.164 In ihrem Tagebuch vom 3.

August 1872 ist vermerkt, dass Richard Wagner sich positiv über den Gesang Rubinis äußerte. Dabei beschrieb Wagner, wie schön Rubini die wundervollen Melodien Bellinis gesungen hätte. Fischer verschweigt jedoch, was Richard Wagner im selben Atemzug über die deutsche Gesangskunst äußerte:

Auf ganz andre Wege müssen unsere deutschen Sänger sich begeben, diese Begabung haben sie nicht; durch das, was ihnen versagt ist, müssen sie sich zu Unerhörtem aufschwingen, wie Wieland durch die fehlenden Füße zum Fliegen gebracht wurde.165

Hieraus lässt sich nicht schließen, dass Wagner in seinen späteren Jahren die Belcanto-Gesangskultur von seinen Sängern verlangte. Im Gegenteil, es sollte eine neue Art des Singens und der Gesangspädagogik erschaffen wer-den. Wagners ambivalente Äußerungen und Julius Knieses Zusammenarbeit mit Cosima Wagner (Kniese war ein „Wortführer des deutsch-nationalen La-gers“ in der Erbschaftsfrage von Bayreuth) waren wohl hauptsächlich dafür zuständig, dass das „fremdländische“ und damit auch der Belcanto in der Stil-bildungsschule zu einem Unwort wurden.

Der Briefwechsel Scheidemantels (siehe Anhang) legt dar, dass er nicht an den Proben in Bayreuth im Jahre 1894 teilnehmen wollte, da er Urlaub in seinen Sommermonaten benötigte. Trede hebt hervor, dass „Anschauungen neugewonnener Helfer“, womit wohl die Probenarbeit Julius Knieses gemeint ist, Scheidemantel davon abhielten, in Bayreuth noch einmal aufzutreten. Gla-senapp schreibt über die Arbeit Knieses:

Für den gesanglich-darstellerischen Teil war es von größtem Gewicht, daß bereits seit einer Reihe von Jahren der ‚Festspielleitung‘ in der Persönlichkeit eines Julius Kniese eine Stütze zu Gebote stand, deren vorbildende Wirksam-keit für die schließliche Ausgestaltung im einzelnen die Voraussetzung bot.

Auf der Grundlage einer solchen Vorarbeit wurde dann, wie bei allen voraus-163 Vgl. auch Nöther, 2008, S. 278

164 Fischer, 1992, S. 529.

165 Cosima Wagner: Die Tagebücher: Band I, S. 1902. Digitale Bibliothek Band 107:

Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe, S. 35063 (vgl. Cosima-Tagebücher 1, S.

556-557).

gegangenen Festspielen, mit jedem einzelnen der zahlreichen Darsteller so anhaltend und unablässig studiert, daß für jeden einzelnen von ihnen daraus der Gewinn eines vollbewußten, immer wieder neu errungenen und befestig-ten Stilgefühles für Aussprache, Vortrag und Gebärde entstand.166

Die Probenarbeit in Bayreuth wurde als etwas sehr Wichtiges betrachtet, um die Rollen in einem neuen Licht präsentieren zu können. Der Tenor Leo Slezak (1873–1946) berichtet über diesen Prozess in seinen Memoiren. Die Ge-sangsstudenten der Bayreuther Stilbildungsschule hätten

[…] unter der Leitung von Generalmusikdirektor Kniese, dem Musikpapst und Vertrauten der Frau Cosima Wagner, ihre Rollen immer mit voller Stim-me plärren [müssen], bis ihnen die Eingeweide bei sämtlichen Öffnungen her-vorquollen.167

Ferner seien „[a]lle Sänger, die nicht rechtzeitig abgeschwenkt sind und den sogenannten ‚Bayreuther Stil‘ geändert haben […] vom Schauplatz ver-schwunden“.168 Es ist anzunehmen, dass Kniese nicht nur von den Studenten der Stilbildungs-Schule, sondern auch von den anderen Gesangssolisten der Bayreuther Festspiele vollen Einsatz forderte, und Scheidemantel daher lieber auf die Probenarbeit mit ihm verzichtete, um sich von seiner Gesangstätigkeit in Dresden und seinen vielen Liederabenden zu erholen. Schließlich machte Scheidemantel den Festspielen ein Angebot, das sie nicht annehmen konnten.

Er forderte zu seiner üblichen Gage von 5000 Mark eine weitere Entschädigung von 12.000 Mark, um sich nach der Produktionsphase in Bayreuth Urlaub neh-men zu können. Eine Antwort der Festspiele auf diesen Brief ist nicht über-liefert. Scheidemantels bemühte sich jedoch weiterhin, eine Gesangskunst zu unterrichten, die die ambivalenten Anforderungen Wagners berücksichtigte, wie seine Bücher Gesangsbildung und Stimmbildung zeigen, die als nächstes untersucht werden sollen. Zuerst soll jedoch kurz skizziert werden, von wel-chen Prämissen bei dieser Untersuchung ausgegangen wird.

166 Carl Friedrich Glasenapp: Das Leben Richard Wagners: Sechster Band, S. 1788. Digi-tale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe, S. 49666 (vgl.

Glasenapp-WagnerBio Bd. 6, S. 799).

167 Vgl. Slezak, 1965, S. 84f

168 Ebd. Vgl. auch Luther, 2005, Sp. 1214.