• Ei tuloksia

In den oben erwähnten Beschreibungen des Personals der Dresdner Hofoper und verstärkt noch in dem Buch Tredes, werden zeitgenössische Kritiken he-rangezogen, um Scheidemantels Können zu unterstreichen. Auf der ersten Seite seiner Monographie kommt Trede zum Ende von Scheidemantels Kar-riere zu dem Schluss, dass die „Gerechtigkeitsgöttin Kritik“ stets dem Sänger wohlgesonnen war.45 Auch wenn dies in den mir vorliegende Kritiken nicht durchweg der Fall ist, so ist doch eine allgemeine Tendenz in den Beurteilun-gen erkennbar, die darauf schließen lässt, dass der Bariton an vielen Orten großen Eindruck machte. Die Sammlung der Kritiken in dem bereits erwähn-ten Erinnerungsalbum bestätigt die Echtheit der meiserwähn-ten Rezensionen, die in den Berichten über Scheidemantel am Anfang seiner Karriere zitiert werden, doch wird auch deutlich, dass sie beispielsweise von Trede um einige pikan-te Details gekürzt wurden, beispielsweise bei der Evaluation der stimmlichen Möglichkeiten seines Lehrers. Scheidemantel selbst wollte Zeitungsrezensio-nen an sich nicht als „sachkundige Kritik“ gelten lassen. Vor allem nicht bei der Beurteilung über das Vermögen eines Sängers. So schreibt er:

Die Tageskritik der Zeitungen kommt hierbei kaum in Betracht, da sie in der Regel nicht in fachmännischen Händen liegt und darum im besten Falle nur als eine Meinung aus dem Publikum zu bewerten ist, die dem Sänger wohl ein Bild von der Wirkung seines Vortrages, selten aber sachliche Belehrung zu geben vermag.46

In dieser Hinsicht empfindet er die sich in „Kritikerkreisen“ ausbreiten-de Überzeugung, die Kritik künftig Fachleuten zu überlassen als „erfreulich“,

43 Kohut, 1888, S. 357.

44 Wildberg, 1902, S. 189.

45 Trede, 1911, S. 1.

46 GB, 1921, S. 147.

da Kritiken von Laien meistens nicht ernst zu nehmen seien. Wahrscheinlich bezog sich Scheidemantel damit auf die negativen Beobachtungen über sei-ne Person und über sein Singen, die gegen Ende seisei-ner Karriere zunahmen.

Beim Lesen der Kritiken über die letzte Vorstellung entsteht jedenfalls der Eindruck, dass die Rezensenten die verklärende Sicht Tredes etwas korrigie-ren wollten.

Die oben zitierte Ansicht Scheidemantels hinderte ihn jedoch nicht daran, wohlwollende Kritiken in Briefen zu seinem Vorteil zu verwenden. Er erwähnt beispielsweise „Kritiken Ludwig Hartmanns, die […] des Lobes voll sind“, als er sich für die Rolle des Hans Sachs bei den Bayreuther Festspielen bewarb.47 Zeitungsrezensionen spielten also eine wichtige Rolle in seiner Karriere.48

Ia.3.1 Berichte in Bühne und Welt aus den Jahren 1900 und 1911 Gerade derselbe Ludwig Hartmann, den Scheidemantel in seinem oben ge-nannten Brief erwähnt, ist der Verfasser des ersten Artikels über Scheide-mantel in der Zeitschrift Bühne und Welt aus dem Jahr 1900. Ludwig Hart-mann (1836--1910) war Komponist und Musikkritiker. Er hatte von 1856 bis 1857 bei Liszt in Weimar studiert. Später schrieb er Abhandlungen über die Musik Wagners.49 Scheidemantels Kenntnis der musikästhetischen Prämis-sen Wagners sowie sein Singen müsPrämis-sen den älteren Wagnerianer Hartmann beeindruckt haben. Nicht nur die Kritiken des angesehenen Dresdner Rezen-senten, sondern auch der Bericht über Scheidemantels Werdegang sind in ei-nem sehr lobenden Ton geschrieben.50 Gleichzeitig wird die Absicht des Autors ersichtlich, Legendenbildung zu betreiben. Dass Scheidemantel als Sohn eines Hoftischlermeisters den Beruf des Opernsängers wählte, wird von Hartmann als „Mirakel“ bezeichnet und daher näher erörtert. Dabei wird der „Geist“ des

„stillen Weimar“ und ein „Kunstbazillus“ dafür verantwortlich gemacht, dass die Stadt an der Ilm so viele Künstler von Weltrang anzog und dass einige auch dort aufwuchsen.

In Hartmanns Artikel rückt zudem die Mutter Scheidemantels in den Fo-kus. Die Frau des Hoftischlers soll durch Eduard Genast (1797–1866), den Hoftheaterdirektor am Weimarer Theater, Zugang zur Kunstwelt bekommen 47 Scheidemantels Brief vom 31.12.1887 an Cosima Wagner, S. 5. (siehe Anhang).

48 Diese Position bestätigt Scheidemantel in seinem Brief aus Mailand (siehe Anhang).

49 Riemann, 1922, S.508.

50 So schreibt Hartmann über den Sachs von Scheidemantel: „Ganz ausgezeichnet ist Herr Scheidemantel in den Hans Sachs hereingewachsen; jedes Mal, wenn man ihn wieder hört, bringt er neue Beweise bei, daß er die eminenten Gedanken, welche in dieser Figur incarniert sind, vollkommen versteht. Fast nimmt das Wunder“. Kritik vom 12.1.1888.

Generallandesarchiv Karlsruhe, 2012, S. 44.

haben. Genast – der zusammen mit Liszt für die Uraufführung von Wagners Lohengrin im Jahre 1850 in Weimar zuständig war – soll die Mutter Schei-demantels häufig ins Theater eingeladen haben, um dort die Klassiker der dramatischen Literatur zu sehen, in denen er auftrat. Grund dafür war gewiss, dass Genast im selben Haus wohnte wie die Hoftischlerfamilie. Scheidemantel selbst kann nicht von Genast beeinflusst worden sein, da dieser bereits starb, als Karl 6 Jahre alt war. Doch Hartmann schreibt es dieser Verbindung zu, dass Scheidemantels Mutter schon früh zu einer „Kunstkennerin“ wurde. Sie bestärkte den eigenen Sohn in seinem Wunsch, Künstler zu werden. Viel wich-tiger ist jedoch, dass Karl später von Genasts Tochter Emilie Merian-Genast in der Vortragskunst unterrichtet wurde.51

Die Bedeutung von Emilie Merian-Genast (1833—1905) ist eine zweifa-che: Neben ihrer Rolle als Lehrerin war sie wichtig für das Glücken der Karri-ere Scheidemantels, denn ihre Beziehungen zu vielen wichtigen Künstlerper-sönlichkeiten und Entscheidungsträgern in der Politik ebneten Karls Weg als

51 Hartmann, 1900, S. 248

Abb. 5. Das Hoftheater in Weimar im Jahre 1899 mit dem davorstehen-den Goethe-Schiller-Denkmal. Hier wirkte Karl Scheidemantel von 1878 bis 1886. Die „Kunstatmosphäre des stillen Weimar“ hat ermöglicht, dass der Handwerkerssohn Scheidemantel ein bedeutender Künstler werden konnte.51 Foto: Postkarte aus dem Verlag Zedler&Vogel, Kunstanstalt, Darmstadt, 1899.

Sänger.52 Unter den Künstlern, die Merian-Genast kannte, war Franz Liszt der bedeutendste. Liszt hatte Merian-Genast Gesangsunterricht erteilt53 und nach Auffassung Clara Hamburgers, wurde die Sängerin zeitweise zu seiner Muse in Weimar.54 Karl profitierte direkt von den Verbindungen Merian-Genasts, in-dem sie beispielsweise den Kontakt zu seinem wichtigsten Gesangslehrer Ju-lius Stockhausen (1826–1906) in Frankfurt herstellte, bei dem Scheidemantel während der Sommerferien der Weimarer Hofoper in den Jahren 1881–1883 studierte. Die Karriere Scheidemantels hätte also ohne die Protektion der ehemaligen Sängerin, die übrigens auch mit Wagner persönlich konzertierte, nicht den gleichen Verlauf genommen.

Die Schrift Hartmanns lässt das Geflecht von sozialen Verbindungen sichtbar werden, die der Bariton geschickt ausnutzte, um „der berühmte Karl Scheidemantel“ zu werden. Neben diesen Informationen, die eher im Text ver-borgen sind und erst in Verbindung mit anderen Quellen ein vollständiges Bild ergeben, geht Hartmann erneut darauf ein, was das „Geheimnis“ des künstle-rischen Erfolgs von Scheidemantel sei. Hier wird seine Intelligenz gelobt, doch viel ausschlaggebender sei die „Gewissenhaftigkeit“ mit der er es verstünde, seine Rollen und Gesangsaufgaben zu erarbeiten.55 Jedes Detail sei für ihn von Bedeutung, sogar bei der Erarbeitung von kleinen, unbedeutenden Rollen.

Dieses Wissen würde er dazu benutzen, eine maximale Wirkung auf der Bühne zu erzielen.

Der Artikel belegt, dass Scheidemantel als ein bedeutender Wagner-In-terpret angesehen wurde. So schreibt Hartmann: „Scheidemantel steht in den Idealfiguren des Bayreuthers […] oben an“.56 Dass Hartmann als Wagnerianer gerne die Errungenschaften des Wagnersängers propagierte, hatte aber auch eine geistesgeschichtliche Dimension, denn es wird unmissverständlich klar, dass Hartmann die Werke Wagners in ästhetischer Hinsicht als die höchs-te Vervollkommnung der Kunst ansah. Dies wird in den letzhöchs-ten Zeilen des Artikels besonders deutlich, in denen auch exponiert wird, dass Scheideman-tel zu den Künstlern gehöre, die es verstünden, „hinter dem Kunstwerk [zu]

verschwinden“, wie dies Wagner von seinen Künstlern in Bayreuth wünschte.

52 Scheidemantel wurde im Jahre 1885 zum Kammersänger ernannt. Zu diesem Zeitpunkt war er nur 26 Jahre alt und somit der „jüngste Kammersänger“ seiner Zeit. Es ist anzu-nehmen, dass Merian-Genasts Verbindungen hierbei eine entscheidende Rolle spielten.

Vgl. Kohut, 1888, S. 365.

53 Schorn, 1912, S. 243.

54 Hamburger, 2007.

55 Scheidemantels Intelligenz wird auch von Cosima Wagner hervorgehoben (siehe Briefe im Anhang).

56 Hartmann, 1900, S. 247.

Hartmann pointiert, dass Weimar eine „natürliche Vorschule“ für die Leis-tungen des Sängers bei den Bayreuther Festspielen gewesen sei und im Sinne Hegels den Fortschrittsgedanken des Geistes darlegen würde:

Der heilige Ernst, der 1876 und 1882 über den Höhen von Bayreuth seine mächtigen Flügel schlug, ist eine Kulmination der Kunstatmosphäre des stil-len Weimar, wo der Geist eines großen Jahrhunderts die Geister der Deka-dence bändigt.57

Der nächste Artikel in Bühne und Welt wurde von dem Verleger Edgar Pierson, der für die Herausgabe der Schriften über die Solisten am Dresdner Hoftheater zuständig war (s.o.), im Jahre 1911 verfasst. Welche Kriterien Pier-son, der immerhin einer bekannten Dresdner Künstlerfamilie entstammte,58 für das Verfassen des Artikels legitimierten, bleibt unklar. In dem Artikel, der nach der Schrift Tredes und nach Scheidemantels Abschied von der Bühne erschien, ist ein deutlich kritischerer Ton erkennbar als in den Schriften, die noch während Scheidemantels Karriere publiziert wurden. Dies wird schon allein daran deutlich, dass Pierson Scheidemantel mit anderen Bariton-Sän-gern seiner Generation, nämlich Theodor Reichmann (1849—1903), Eugen Gura (1842—1906) und Paul Bulß (1847—1902) vergleicht. Hier tritt zutage, dass die Huldigung Tredes einen gewissen Widerspruch der Zeitgenossen ge-weckt hatte, denn Pierson macht deutlich, dass Scheidemantel durchaus nicht unfehlbar auf allen Gebieten des Gesangs gewesen sei. Am offensichtlichsten wird dies in dem Satz: „Scheidemantel [hat] in der Tiefe nie den vollen Um-fang des Baritons besessen“.59 Trotz der kritischen Anmerkungen entwickelt Pierson seine Gedanken über Scheidemantel hauptsächlich anhand der Infor-mationen aus Tredes Buch. Somit bleibt der Artikel überwiegend wohlmei-nend. Pierson verwendet positive Kommentare u.a. von Hanslick, den Brief Cosima Wagners, der die „Sympathie“ der Festspielleiterin für Scheidemantel bezeugt sowie Aussagen von ihm gewogenen Zeitzeugen, die sich schon bei Tre-de finTre-den. Nicht nur dadurch entsteht Tre-der Eindruck, dass ganze Passagen von Trede abgeschrieben sind. Bei der Frage nach Scheidemantels Erfolgsrezept unterscheidet Pierson zwischen dem jungen und dem alten Scheidemantel. In jungen Jahren sei vor allem der „Wohlklang seines weichen, hohen, lyrischen Baritons“ ausschlaggebend für seinen Erfolg gewesen. Später seien es die „dra-matischen Akzente“ und die „künstlerische […] Durchdringung“, die den Ba-riton reüssieren ließen. An vorderster Stelle sei es jedoch die „künstlerisch

57 Ebd. S. 248

58 Stadtarchiv Coswig, Petra Hamann, 2006.

59 Pierson, 1911, S. 236.

hervorragende Intelligenz und unermüdliche Pflichttreue“, die sein Wirken bestimmt hätten, wie schon an anderer Stelle betont wurde.60

Wagners Bedeutung für Scheidemantel wird insoweit hervorgehoben, dass Pierson die Rollen des Wolfram und des Hans Sachs als die wichtigsten in der Karriere des Baritons angibt. Zu Scheidemantels Rollengestaltung des Hans Sachs, die bei Trede (und später bei Reichelt) als eine völlige Identifikation mit dem Charakter des Schusterpoeten dargestellt wird und somit als eine frühe Form des Method Acting angesehen werden kann, hat Pierson wenig beizutra-gen. So schreibt er lediglich, dass man über Scheidemantels Interpretation des Hans Sachs „eine interessante Abhandlung“ schreiben könnte und dass er als Interpret in dieser Rolle „sein alles, sein Innerstes“ geben würde, ohne näher darauf einzugehen, worin sich dies äußert und wie die Beschaffenheit der inte-ressanten Abhandlung sein könnte. Womöglich war der Autor eingeschüchtert von der huldigenden Beschreibung Tredes.

Ia.3.2. Berichte in Die Musik (1911)

Der Artikel in Die Musik von dem Dresdner Musikkritiker Friedrich Adolf Geissler (1868–1931) weist einige Parallelen zu Piersons Schrift auf.61 Auch hier bildet die letzte Vorstellung Scheidemantels das Herzstück des Berichts und auch hier sind kritische Bemerkungen über ihn zu finden. Die Analogien zur Schrift Tredes fehlen, doch ist der Stil des Textes trotzdem eher jovial, im Sinne eines kritischen Zwiegespräches mit dem Aufsatz des Scheideman-tel-Schülers. Geissler betont, dass Scheidemantel auf jeden Fall zu den her-ausragenden Solisten der Dresdner Hofoper gehörte und dass er auf einem Ni-veau mit anderen hervorragenden Sängern wie Therese Malten und Heinrich Gudehus stand, die besonders durch ihre Arbeit mit Wagner bekannt wurden, was Geissler jedoch nicht explizit erwähnt. Abweichend von anderen früheren Artikeln sieht Geissler die künstlerische Gewissenhaftigkeit Scheidemantels darin begründet, dass der Sänger zwar mit einem guten stimmlichen Material, darstellerischem Talent und musikalischer Intelligenz ausgestattet sei, dass er allerdings Schwierigkeiten habe, dies alles „zu einem harmonischen Ganzen zu vereinigen“.62 Zudem dürfte er wohl kaum das Publikum durch seine äuße-re Erscheinung beeindruckt haben. Geissler umschäuße-reibt die äußeäuße-ren Züge des

60 Pierson, 1911, S. 236.

61 Zur Schriftform des Namens und den Werdegang des Kritikers siehe: Gruyter, 2005, S.

323.

62 Geissler, 1911, S. 36.

Baritons mit den Ausdrücken „gedrungene Figur“ und „ausdrucksvolles aber keineswegs schönes Antlitz“.63

Bei der Beschreibung seiner Stimme moniert Geissler, dass „Scheideman-tel während seiner ganzen Laufbahn“ Probleme mit seiner tiefen Lage ge-habt hätte. Aus diesen Gründen hätte der Sänger keine andere Möglichkeit gehabt, als unablässig an sich selbst zu arbeiten. Diese Arbeit tat er jedoch nach Meinung Geisslers gerne und aus voller Überzeugung. Zugleich hätte der Sänger kein „Schonungsbedürfnis“ gehabt, sondern habe bis zu 200 Mal pro Jahr auf der Opernbühne gestanden.64 Geissler verdeutlicht, dass der Künst-ler die „höchste Befriedigung“ als Wagnersänger genoss, wobei er neben Hans Sachs und Wolfram auch die Rollen des Telramund und des Kurwenal her-vorhebt. Dass Scheidemantel Hans Sachs für seine letzte Rolleninterpretation auswählte, sei eine „innere Notwendigkeit“ für den Sänger gewesen, da „[a]ll‘

die Brünnlein seines Wesens […] gerade in dieser Partie zusammen“ fließen würden65 und das, obwohl die Partie an sich zu tief für ihn gewesen sei. Er sei gerade in diese Partie hineingewachsen, „obwohl – oder vielleicht sogar weil sie ihm durch die zahlreichen tiefen Stellen einen beständigen Widerstand ent-gegensetzte“,66 wie Geissler sich ausdrückt. Die Aussagen Geisslers belegen, dass Scheidemantel nicht für die dramatischen Rollen geeignet war, die eine fundierte Tiefe verlangten. Sein Wunsch diese Partie zu singen, scheint aber größer gewesen zu sein als die Bedenken, die auch schon früher artikuliert wurden.

Die Musik beinhaltet noch einige weitere Artikel, die Scheidemantels pä-dagogische Arbeiten besprechen. Diese werden im Zusammenhang mit seiner Gesangspädagogik behandelt.

Ia.4. Künstlererinnerungen: