• Ei tuloksia

IIb.5. Zusammenfassung

III.9. Ergänzende Leitsätze auf dem Weg zum Wagnergesang

Neben der Tiefstellung des Kehlkopfs gibt es noch einige andere Aspekte, die Scheidemantel ins Treffen führt, um Sängern und Sängerinnen das Aufführen von Wagners Musikdramen zu erleichtern. So spricht er von der sängerischen Modifikation der Resonanz, die für ihn mit der „dehnbare[n] Resonanzfähig-keit der Mundhöhle“ einhergeht. Gerade am Anfang des Unterrichts geht es Scheidemantel oft um die „dunkle Grundfärbung“. Es sei aber auch möglich, die „helle Grundfärbung“ beim Singen zu benutzen. Dies sei besonders wich-tig für die höhere Lage der Männerstimmen. Durch Betonung der „hohen Kopfresonanz“, die sich vorwiegend durch die „Mittelstimmvokale“ E und I bemerkbar machten, ließen sich „Fortissimotöne“ erzeugen, die eine „ungeheu-re Durchschlagskraft“ besitzen würden und daher, nach seiner Meinung, „vom stärksten Orchester nicht übertönt“ werden könnten.635

633 GB, S. 19ff.

634 Göpfert, 1994, S. 43.

635 GB, S. 75. Scheidemantel erläutert, dass man, je höher man singt, die „tiefe Kopfre-sonanz“ abmildern sollte und die „hohe KopfreKopfre-sonanz“ hervorheben sollte, die Töne würden dann „kerniger“ klingen. So sei es möglich, „sich mit Leichtigkeit in hoher Lage zu bewegen“. Ebd.

Diese Modifikation der Resonanz, die zu einer größeren Durchschlagskraft einer Stimme führt, ist heute durch die Formanttheorie bestätigt. Durch die Zusammenführung des dritten bis fünften Formanten zum Sängerformanten um 3000 Hz gelingt es dem Sänger leichter über ein Orchester zu singen.636 Durch das Computer-Programm RTSect637 lässt sich Scheidemantels Theo-rie leicht überprüfen. Scheidemantel gibt an, dass es durch eine „bewußtvoll“

herbeigeführte Abschwächung der „tiefen Kopfresonanz“ und durch die Beto-nung der „hellen Grundfärbung“ „leicht und sicher“ gelingen würde Wörter wie

„Ruhm, Not, Wald mit Mittelstimme fortissimo zu singen“.638 Im Folgenden wurden vom Verfasser dieser Arbeit auf der Tonhöhe [f1] (394 Hz) die Wörter

„Ruhm, Not, Wald“ innerhalb von einer Zeitspanne von 4 Sekunden im gleich-mäßigen Rhythmus und Tempo gesungen und ein Spektogramm mit Hilfe der Long-Term Average Spectrum Darstellung (LTAS) hergestellt. Dabei wurden drei unterschiedliche Konfigurationen des Vokaltrakts vorgenommen. Zuerst ohne Tiefstellung des Kehlkopfs (I), dann mit Tiefstellung des Kehlkopfs (II) und schließlich mit Tiefstellung des Kehlkopfs und der Betonung der Vokal-farbe E (III). In den Spektogrammen gibt die x-Achse die Herzzahlen zwischen 100 und 5400 Herz und die y-Achse die Lautstärke in Dezibel wieder.

Der deutlichste Unterschied zeigt sich zwischen der Aufzeichnung I. und II. Die Tiefstellung des Kehlkopfes bewirkt eine eindeutige Zusammenführung des Energiemaximums um 3 kHz herum. Beim letzten Beispiel (III) akkumu-lieren die Formanten etwas deutlicher in diesem Bereich und der Frequenz-bereich um 700 Hz steigt etwas an. Durch die E-Färbung wird der zweite Formant um 5db erhöht. Eine eindeutige Verbesserung des Klangs kann aber nicht anhand des Spektogramms ermittelt werden. Es werden lediglich Para-meter aufgezeichnet, die Hinweise darauf liefern. Das endgültige Klangresul-tat soll daher von einem Sachverständigen beurteilt werden. Individuelle ana-tomische Gegebenheiten spielen selbstredend bei der Suche nach der besten Stimmökonomie eine große Rolle.639 Mit der Möglichkeit die „tiefe

Kopfreso-636 Hier bestätigt sich wieder die männliche Sicht Scheidemantels, da sich Frauenstimmen eher des Formanttunings bedienen, worüber Scheidemantel jedoch nichts schreibt. Der Grundton des Spektrums wird bei dieser Vorgehensweise durch die Beimischung des Vokals A verstärkt. Das Wort „Formant-Tuning“ ist neu, die theoretischen Grundla-gen dieser Herangehensweise gehen jedoch sehr weit zurück, so heißt es bei Marti-enssen-Lohmann: „[…] schon die alten Italiener, die von den Formanten noch nichts gewußt haben, ließen ihre Soprane (Kastraten) in den hohen Lagen vorwiegend den Vokal a benutzen“. Martienssen-Lohmann, 2001, S. 115. Vgl. auch Richter, 2013, S. 88.

637 RTSect wurde von Svante Granqvist entwickelt und lässt sich auf der Seite www.tol-van.com kostenlos herunterladen.

638 GB, S. 75.

639 Sundberg schreibt in diesem Zusammenhang: „Der Sängerformant stellt sich […] als

I Abb. 33. LTAS ohne Tiefstellung des Kehlkopfes.

II Abb. 34. LTAS mit Tiefstellung des Kehlkopfes.

III Abb. 35. LTAS mit Tiefstellung des Kehlkopfes und Betonung der

„Mittelstimmigkeit“.

nanz“ abzuschwächen und die „hohen Kopfresonanz“ zu erhöhen, weist Schei-demantel dem Sänger viele Wege, die geeignete Resonanz zu finden, um mit dem Minimum an Kraftaufwand ein Maximum an Klangstärke zu erzeugen.

Somit handelt es sich hier um eine Arbeit, die sich mit den Formanten beschäf-tigt, obwohl Scheidemantel selbst diese Theorie noch nicht bekannt war.

Scheidemantel fordert aber nicht nur lautes Singen, sondern auch die

„Randstimmigkeit“ der Gesangstöne. Das heißt, dass jeder Ton mit „Randstim-me“ anfangen sollte. Damit rückt die Qualität der Stimme in den Mittelpunkt.

Durch die Fähigkeit, einen Ton beliebig anschwellen zu lassen, was durch Messa di voce-Übungen trainiert wird, bleibt die Farbskala des Sängers groß.

Scheidemantel betont, dass diese Farbenskala gerade im Operngesang zu ver-kümmern drohe und sieht sogar die Existenz der deutschen Gesangskunst von dieser Entwicklung gefährdet:

Der Verfall der deutschen Bühnen-Gesangskunst […] beruht einzig und allein auf der unbestreitbaren Tatsache, daß die deutsche Bühnensänger darauf an-gewiesen sind, ihrer Stimme andauernd das stärkste Forte abzuringen, um gegen das überlaute Orchester stand halten zu können.640

Scheidemantel meint, dass dies der Grund sei, wieso deutsche Sänger Gluck und Mozart nicht mehr in angemessener Form aufführen könnten. Schei-demantels Begründung scheint die Meinung des Dirigenten Felix Weingarten wiederzugeben, der seit 1896 einen „Verfall der Gesangskunst in Deutschland“

in den Aufführungen in Bayreuth gegeben sah. Dieser Verfall sei vor allem von der neuerrichteten „Bayreuther Stylschule“ ausgegangen. In diesem Zusam-menhang schreibt Weingarten über Wagner:

„Wagner ruiniert die Stimmen“ und „Wagnersänger können Mozart nicht mehr singen“ sind die Phrasen, die man bis zum Ekel vernehmen muß. Man erinnere sich, wie Vogl den Octavio oder Tamino sang! Die Jungen sollen s i n g e n l e r n e n, wie es die Alten getan haben, und nicht früher auf die Bretter hinaustreten, als bis sie was können; dann werden sie auch Mozart zu singen verstehen und keine Wagnerrolle wird ihre Stimme ruinieren. Fängt man freilich sein Studium damit an, Siegfried und Brünhilde zu brüllen, so kommt Rohheit, Einseitigkeit, Unfertigkeit und vorzeitige Ermüdung dabei heraus. Seit jeher ist eine gründliche, gesangstechnische Ausbildung die

uner-eine Manifestation der Stimmökonomie dar“, da der Sängerformant der Stimme große Durchschlagkraft bei „geringer Muskelanstrengung“ verleihen soll. Sundberg, 2015, S. 148f.

640 GB, S. 171.

läßliche Vorbedingung einer künstlerischen Leistung auf der Bühne gewesen und Wagner hat d a r i n nicht das Geringste geändert.641

Wie schon dargelegt wurde, beschäftigt sich Scheidemantel in seiner Ge-sangspädagogik häufig mit der Wiedergabe der Vokale und übernimmt die Elemente aus der Belcanto-Schulung, die ihm nützlich erschienen. Offenbar war es sein Ziel, die deutsche Gesangskunst somit voranzubringen und ein Gegengewicht zu der Bayreuther Stilbildungsschule zu bilden. Auch hier han-delte er im Sinne Wagners, denn er wünschte sich, dass bei der Entwicklung der neuen deutschen Gesangsschulung „eine eigentliche Verkümmerung des Gesangswohllautes nicht aufkommen dürfe“.642 Es wird noch zu zeigen sein, dass in Scheidemantels Gesangspädagogik die Werke der Wiener Klassik eine große Rolle spielten (vgl. Kap. V.5.3.). Somit gibt es eine Parallele zwischen Scheidemantel und Weingarten auch auf diesem Gebiet.

Scheidemantel verteidigt Wagner, der es nie geduldet hätte, „daß die Sän-ger ‚gedeckt‘“ würden. Er sieht eher die Dirigenten in der Pflicht, die SänSän-ger zu schützen, das heißt, das „stimmmordende[] moderne[]“ Orchester643 auch bei neueren Werken so spielen zu lassen, dass der Sänger nicht „schreien“ müs-se. Die Rückbesinnung auf Heinrich Porges‘ Schilderungen über die Proben-arbeit mit Wagner in Bayreuth und die obengenannte Maxime Wagners hat für Scheidemantel „umso mehr Gewicht“, da die akustischen Verhältnisse in Bayreuth wegen des verdeckten Orchesters sehr gut seien.

Aus dieser Perspektive ist auch Scheidemantels Kritik gegenüber der tel“ verständlich. Denn ein „natural falsetto“, das Scheidemantel mit der „Fis-tel“ meint, hätte gar keine Entfaltungsmöglichkeit und könnte somit in der Tat nicht gegen ein großes Orchester ankommen. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Scheidemantel die Meinung vertritt, dass das „hohe C“ in der Kavatine des Faust („Salut, demeure chaste et pure“) aus Gounods Mar-garete mit der Kopfstimme gebildet werden sollte.644 An einer früheren Stelle schreibt er, dass das „hohe C“ des Tenors nie „vollstimmig“, sondern höchs-tens mit „Mittelstimme“ gesungen werden könnte.645 Er hebt ebenso hervor, dass in „Werken älterer französischer und italienischer Komponisten“, womit

641 Weingartner, 1904, S. 65f.

642 Wagner, 1865, S. 13.

643 Scheidemantel benutzt noch Ausdrücke wie „übermäßig starkes, aufdringliches Or-chester“ und „überlautes, blechgepanzertes OrOr-chester“.

644 Scheidemantel schreibt dazu: „Der Tenor, der das hohe C der Faust-Cavatine fistelt, anstatt es mit Kopfstimme zu singen, kann keinen Anspruch darauf erheben, von Sachverständigen für einen Gesangskünstler gehalten zu werden“. GB, S. 57.

645 Vgl. SB, S. 86.

er „Herold, Boieldieu, Rossini“ und erstaunlicherweise „Verdi und Gounod“

meint, die hochliegenden leisen Stellen nicht „Fistelkunststückchen“, sondern

„Effektstellen einer vollendeten Gesangskunst“ seien. Diese solle man mit der

„männlichen“ Kopfstimme ausführen. Hier scheint sich Scheidemantel über die Bildung der tenoralen Höhe doch nicht ganz klar gewesen zu sein, denn Gounod schreibt beispielsweise kein pianissimo vor für das [C2] in der besag-ten Kavatine. Vielleicht war Scheidemantel von einer Aufnahme mit Enrico Caruso beeinflusst, der dieses Werk 1906 aufnahm. Caruso, dessen Aufnah-men eine große Bedeutung in Deutschland hatten, nimmt das hohe C durchaus

„kopfstimmiger“ als es bei späteren Aufnahmen des Werks zu hören ist.646 Wo-möglich haben sich gerade in dieser Arie die Klangvorstellungen mit der Zeit geändert. Es erscheint für Scheidemantel auf jeden Fall wichtig gewesen zu sein, dass die Stimme auch in höherer Lage eine gewisse Tragfähigkeit besitzt.

Ähnlich wie bei Schmitt und Hey ist für Scheidemantel die strikte Befol-gung der Gesetze der Aussprache wichtig. Doch konträr zu vielen Gesangspäd-agogen beschäftigt er sich mit großer Sorgfalt auch mit den Vokalen und sieht ihre Form als ausschlaggebend für das Gelingen einer richtigen Aussprache an. Dieses würde eher im „getragenen Gesang“ deutlich, weniger im „Sprech-gesang“ und in Rezitativen. Nach Weingarten hatte die Bayreuther Stilbil-dungsschule den Spitznamen „Konsonanten-Schule“647 erhalten; womöglich ging es Scheidemantel darum, die vorrangige Bedeutung der richtigen Vokal-aussprache zu thematisieren. Doch auch diese Ansicht geht zurück auf seinen Lehrer Stockhausen, wie noch dargelegt werden soll.

In der Sprachfrage wird Scheidemantels Nähe zu Siebs besonders deut-lich. Ferner betont er die Bedeutung der „Fernwirkung der Lautbildung“, die von der Größe des Vortragssaals abhängig sei, in dem der Singende auftritt:

Je größer der Raum ist, in dem man vorträgt, desto vergrößerter müssen die Laute in Erscheinung treten, wenn der Sänger verstanden werden will. Es kommt dabei niemals auf die Kraft des Gesangstones an, die eher geeignet ist, die Deutlichkeit der Aussprache zu unterbinden.648

Daher mahnt der Autor den Studierenden, die einzelnen Laute mit „Flüs-terstimme“ zu üben, um ihre „Richtigkeit“ zu überprüfen. Aus diesen Anwei-sungen setzt Scheidemantel seine Lernmethode zusammen, die ein bewusstes und fehlerfreies Singen gewährleisten soll.

646 Enrico Carusos Interpretation des Werks kann unter https://youtu.be/dWVa1hWJwVc gehört werden. Dieselbe Cavatine von Franco Corelli (1921–2003) wiederum unter ht-tps://youtu.be/PRUeGHTex-8 (besucht am 1.4.2015).

647 Weingartner, 1904, S. 66.

648 GB, S. 139.