• Ei tuloksia

Die Geschichte und die Forschung des Bucheinbandes sind meistens im Rahmen der Buch- und Bilbliotheksgeschichte als engere und spezifische hilfswissen-schaftliche Gattungen dieser Bereiche aufgefasst worden. Die Bucheinbän-de sollten jedoch breiter – als Teil Bucheinbän-des materiellen Kulturnachlasses und Bucheinbän-des Kunstgewerbes – in Betracht gezogen werden. Die Mehrdimensionalität eines Buches drückt sich auch mehrfach aus: Durch seinen schriftlichen Inhalt hat das Buch die Rolle eines Ideenvermittlers zu tragen, wobei es gleichzeitig durch seine materiellen Eigenschaften in die materielle Welt gehört. Als materieller Gegenstand hat jedes Buch seine Geschichte und erfüllt eine bestimmte Rolle an einem Ort bzw. in jemandes Besitz; das Buch hat einen Autor, Gestalter und andere Menschen, die seine physische Entstehung veranlasst haben. Die Bücher stellen sowohl Unterhaltung, Wissenschaft, Studium, Zierstück, Ehrensache als auch Holz, Leder, Papier, Tinte, Farbe und Druckfarbe, Klebstoff, Textil, Pergament und vieles mehr dar. Als ein Ideenvermittler und ein aus Materie bestehendes Objekt erfüllt das Buch neben dem Zweck des geistigen und ma-teriellen Nachlasses auch einen visuellen Zweck, und dies dank seines äußeren Wesens. Bei einem Buch ist nicht nur sein schriftlicher Inhalt, sondern auch sein Aussehen von Bedeutung.

Neben der Buchgeschichte behandelt diese Arbeit auch die in den letzten Jahrzehnten hervorgetretene Richtung der Forschung von Gegenständen.

Nach neueren Trends der Forschung der materiellen Kultur betrachtet man Gegenstände als Beeinflusser von zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Gegenstände wurden wie Lebewesen erforscht, in dem ihre „Lebensläufe“ oder Bewegungswege behandelt werden. Von diversen Gesichtspunkten ausgehende Forschungen haben eine sogenannte „materielle Wende“ vorbereitet, in der die Gegenstände in der Kunstgeschichte in den Mittelpunkt gestellt worden sind.27

Das zu erforschende Material gibt Informationen darüber, welchen Einbän-den Vorzug gegeben wurde, d.h. welche Form, welcher Dekor und (bei einem

26 Goldschmidt 1928b, 9.

27 Hauptwerk, den die Kunsthistoriker benutzt haben, ist Appadurai 1986; Siehe auch Hahn und

Weiss 2013; Laitinen, Mäkikalli, 2010; Siehe auch Immonen, Räsänen, 2012, 35–53.

gedruckten Buch) welcher Inhalt bevorzugt wurde. Wenn mitteleuropäische Aristokraten es bevorzugt haben, in italienisch-französischem Stil verzier-te Bucheinbände mit goldenem Dekor für ihre Bibliotheken zu besverzier-tellen, dann ist in der Sammlung des Tallinner Stadtarchivs kein einziger solcher Einband aus dem 16. Jahrhundert erhalten. Man könnte zwar glauben, dass solche luxuriösen Einbände viel zu teuer waren oder dass es in Tallinn keine Meister gab, die imstande gewesen wären, solche Einbände anzufertigen. In früheren Forschungen wurde gemeint, dass im 16. Jahrhundert in Tallinn diese Einbandart unbekannt war. Diese Behauptungen müssen widerlegt werden, weil es in Tallinn wohl ausreichend reiche Bürger gab, die sich neben anderen Kostbarkeiten auch wundervolle in Marocain eingebundene Bücher hätten leisten können. Auch die Buchbinder verbrachten ihre Wanderjahre meistens in deutschen Städten, wo im 16. Jahrhundert beide Einbandarten – mit vergoldetem Dekor und im Blinddruck – bekannt waren. Davon zeugt auch das Inventarium eines Tallinner Buchhändlers und Buchbinders, in dem einundvierzig Einbände mit Golddekor aufgelistet sind.28 Das weist darauf hin, dass in Tallinn die Einbandart des italienisch-französischen Stils gut bekannt war und dass die Bürger solche Bücher auch bestellten.29

Anhand des zu erforschenden Materials wird versucht, Licht auf die Bezie-hungen zwischen Menschen und Gegenständen zu werfen. In der zeitge-nössischen Forschung der materiellen Kultur werden Gegenstände immer mehr als Teil der Geschichtsforschung verstanden; die Gegenstände können als Geschichtsquellen behandelt werden, die über die Vergangenheit be-richten.30 Die Gegenstände sind sowohl Forschungsobjekte an sich als auch Forschungsquellen. Die Gegenstände vermitteln Informationen über soziale Verbindungen, zum Beispiel können die auf dem Einbanddeckel oder in hand-schriftlichen Eintragungen vorhandenen Namen uns darüber informieren, welche Personen mit dem Buch in Verbindung zu bringen sind und in welchen Verwandtschafts- oder anderen Beziehungen sie miteinander standen.31 Das

28 David Grund 1597. TLA.

29 Siehe hier Anlage 3.

30 Siehe Mäkikalli 2010, 18.

31 Ich habe einen Bucheinband an Kaspar Meuser, an einen bekannten deutschen Buchbinder

des 16. Jahrhunderts attribuiert. Das Buch befindet sich heute in der finnischen Nationalbi-bliothek. Die Beziehungen zwischen den Höfen, politische Situationen, u.a. Kriege und vor allem der II. Weltkrieg, haben Bücher einer ehemaligen Sammlung in Gedächtniseinrich-tungen verschiedener Länder verstreut. Im Jahre 1829 hat die Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg anlässlich der Gründung der Bibliothek der Universität Helsinki eine große Schenkung gemacht, deren Bestandteil auch das obenerwähnte Buch war. Davor gehörte das Buch der Bibliothek kurländischer Herzoge, und ursprünglich stammt es aus der sächsischen Hofbibliothek des 16. Jahrhunderts in Dresden. Siehe Rebane 2010; Rebane 2011.

Buch war ein sehr teurer Gegenstand und deshalb auch wertvoll als Geschenk oder Spende. Im Mittelalter und in der Frühneuzeit spielte das Geschenk eine wichtige Rolle in der Kommunikation und oft gehörte das gegenseitige Beschenken zu einem höflichen Umgang untereinander.32 Der kommunikative Aspekt eines Geschenks oder einer Spende kann sowohl den Eigentümer als auch den Kontext der Beschenkung charakterisieren. Zum Beispiel mussten die für eine öffentliche Bibliothek gespendeten Bücher nicht unbedingt neu sein, sondern sie wurden der eigenen privaten Bibliothek entnommen. Der Anlass für Geschenke und Spenden war unterschiedlich – einer davon war bestimmt Dankbarkeit. Menschen, die bemerkenswerten Erfolg und gutes Glück gehabt hatten, machten als Gegenleistung Geschenke. Urban Dene, ein Tallinner Münzenmeister des 16. Jahrhunderts, war sehr erfolgreich auf seinem Gebiet, und als er auf dem Gipfel seiner Karriere war, schenkte er der Bibliothek der Tallinner Olaikirche Bücher.33 Gegenstände funktionieren auch als Symbole der Identität. Zweifellos war die Bibliothek eines Aristo-kraten mit ihren herrlichen Einbänden eine Widerspiegelung seiner intel-lektuellen Interessen und seiner Identität. Gegenstände vermitteln nicht nur Kulturbedeutungen, sondern sie haben selbst eine Bedeutung, die die Kultur beeinflussen. Die scheinbar passive Rolle eines Gegenstandes in der Gesellschaft ist in der Wirklichkeit oft eher die Rolle des Beeinflussers.34 Das Buch ist ein mächtiges Medium, das im 16. Jahrhundert Ideen der Humanis-ten und von Martin Luther sowie gesellschaftliche und politische Gedanken der Herrscher vermittelte. Ein ästhetisch wunderschöner Gegenstand kann Geschmacksvorlieben beeinflussen, zum Beispiel ließ der ungarische König Matthias Corvina die Bücher seiner Bibliothek nach dem Vorbild italienischer luxuriöser Einbände binden. Aber ungeachtet dessen, welche Botschaften ein Buch vermitteln oder welche Gefühle es wecken kann, ist das Buch an sich unter anderem auch ein lebloser und passiver Gegenstand im Bücherregal.

Da materielle Gegenstände ein Aussehen haben, vertreten sie auch die visuelle Kultur. In der vorliegenden Arbeit werden Einbände behandelt, die als unikale Einbände bezeichnet werden können, denn kein historischer Einband stimmt mit einem anderen genau überein, da er unabhängig von anderen fertiggestellt wurde. Jeder Buchbinder hat seine Einbände selbst gestaltet, wobei er nach seinem eigenen Geschmack und Willen die Stempel für ihre Gestaltung bestellt hat. Ein jeder historischer Einband hat sein privates Gesicht.

32 Lahtinen 2010.

33 Siehe hier die Einbandgruppe von Urban Dene.

34 Mäkikalli 2010, 12-13.

Die Forschung des materiellen Kulturnachlasses ist zum großen Teil auch mit Interpretierungsfragen verbunden. Bei einem fragmentär erhaltenen Einband können mehrere Interpretationen bezüglich seines Zustandes und seiner Ab-stammung in Frage kommen. Das materielle Wesen der Gegenstände muss innerhalb von Zeit und Raum berücksichtigt werden, genauso die Tatsache, dass das sich verändernde Umfeld auch Gegenstände verändert. Ein Einband steht mit Kunst und Gewerbe in Verbindung und beteiligt sich an Änderungen der geistigen und materiellen Kultur. Mit der Zeit ändert sich auch der Wert des Gegenstände: Bucheinbände, denen früher kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde, sind Raritäten geworden; viele europäische Einbände sind auf Auktionen in den USA zu kolossalen Preisen verkauft worden. Zur Mitte des 20. Jahrhun-derts waren zum Beispiel die Preise europäischer unikaler Einbände sehr stark gestiegen und die zu den Raritäten gehörenden Bucheinbände des 16. Jahrhun-derts wie die von Grolier, Maioli und Medici kosteten 4300-23 000 Dollar.35