In der vorrede zu seiner Übersetzung des finnischen psal- ters schreibt der bischof Agricola im jahre 1551:
Demnach existierte nach Agricolas m einung bei den ka- reliern für jede gattung getreide eine besondere gottheit: Ron- goteus für den roggen, Pellonpecko für die gerste und W iran- cannos für den hafer. Die betreffenden gottheiten sind dem nam en nach noch gegenw ärtig bekannt, w eniger dagegen weiss man, wie eine jede ihres amtes waltet.
Die gottheit für roggen und hafer will ich unberück
sichtigt lassen 1 und nur der gottheit der gerste Pellonpecko, U. T. S ir e liu s .
Pellonpecko Ohran casuon soi, Wirancannos Cauran caitzi — Waan Carialaisten Nämet olit Kpeiumalat, quin he rucolit:
Rongoteus Ruista annoi,
Aber die abgötter der karelier waren.
Welche sie verehrten, folgende:
Rongoteus gab roggen,
Pellonpecko begünstigte das Wachs
tum der gerste, Wirancannos hütete den hafer —
1 Ü ber V ira n k a n n o s siehe F U F IV 12 9 . R o n g o t e u s kann nicht ganz richtig geschrieben oder gedruckt sein. Ein zauberlied vom Ursprünge des pferdes fängt an : R u k o t iv o Ä iö n p o ik a , (B ecker
Über den Pekokultus bei den setukesen. 10 5 einige zeilen widmen. E r ist mir neulich gelungen zur kennt- nis dieser gottheit wertvolle beitrage zu erlangen. Diese bei
trage verdanke ich nämlich den fleissigen folkloresammlern G.
Sander und J. S ander aus Neuhausen, welche die setukesen und deren leben gut kennen.
Freilich heisst die gottheit bei den setukesen nicht m ehr Pellonpecko (Acker-Pecko), wie bei den kareliern, sondern ein
fach P e k o (mit kurzem e und geminiertem k ). Bei den esten dagegen ist diese gottheit ganz unbekannt.
W enn auch bei den setukesen der nam e der gottheit von dem der karelier etw as abweicht, so entspricht doch das wesen der der karelier vollkommen. E s ist w ahr, die setukesen lassen ihren Peko nicht allein eine gottheit der gerste, sondern eine gottheit für alle getreidearten und sogar für die Viehzucht sein, aber eine derartige ausdehnung des Wirkungskreises kann der gottheit nur zur ehre gereichen. Der Peko der setukesen re p rä
sentiert folglich eine mit grösserer macht versehene gottheit als der Pellonpecko der karelier.
Peko tritt nicht allein als eine gottheit auf, sondern zu gleicher zeit auch als ein götze. Peko lebt nicht nur in der einbildungskraft der setukesen, sondern er wird auch körperlich von ihnen dargestellt, ganz wie der T õnn bei den esten (vgl.
JFSO u XVIII 2). Des Pekos kultus übertrifft den des T õnn bei weitem. W ährend T õnn das Verehrungsobjekt eines ein
zigen hauses bildet, w ird Peko von einem ganzen kreise von personen als schutzherr angesehen, und zu seinen festen versam melt sich eine grössere anzahl von teilnehmern.
Gewöhnlich wird Peko aus w achs verfertigt. Man giebt ihm die gestalt eines kindes, zuweilen sogar eines dreijährigen kindes. Nach einer anderen Überlieferung soll Peko mit einem kalbskopfe versehen und mit färben, angestrichen sein. 1 Auf
bew ahrt wird Peko in der kornklete und zw ar im getreidekasten.
In besonderen fällen tritt er aber auch W anderungen an, resp.
m an führt ihn auf die felder.
650 b n. 9). Sind die namen identisch, so läge hier möglicher
weise ein skandinavisches lehnwort mit der bedeutung ’roggengotť (ru g r, tiv o rr) vor. Bemerk, v. Ka a r l e Kr o h n.
1 Waimulik sõnumitooja 1904. N:o 9.
іоб M . J . Ei s e n,
Der aus w achs verfertigte Peko repräsentiert einen gewis
sen wert, namentlich w enn er von der grösse eines kindes ist.
Der folkloresammler G. Sander taxiert den w ert des Peko auf 30 rubel. Infolge dieses wertes ist es kein w under, dass sich nicht ein jeder einen Peko anschaffen kann, sondern mehrere personen zusam m en sich diesen luxus erlauben. Gewöhnlich findet m an im ganzen dorfe nur einen Peko. Jedoch kommen auch ausnahm en vor. Berühmt sind durch den Pekokultus die dörfer Tsirgu und Härm a. In diesen dörfern findet man meh
rere Pekos.
Die Verehrer Pekos bilden oft einen besonderen kreis, gleichsam wie in unseren tagen lesezirkel gebildet werden.
Ungefähr 20 personen werden zu einem solchen kreise ange
nommen. Peko selbst logiert nach der reihe bald bei dem einen, bald bei dem anderen, nicht so wie T õnn immer bei einem Verehrer.
Zu ehren Pekos werden jährlich 2 feste gefeiert, das eine im frühjahr, das andere im herbst. Nach einer angabe soll man auch am Johannisabend Pekos fest gefeiert haben. 1
Am feste im frühjahr beteiligen sich nur die m änner, am anderen feste auch die frauen. Jedoch verkleiden sich die frauen zum Pekofeste als männer. Bevor das herbstfest be
ginnt, gehen die frauen zu allen Verehrern Pekos und sam meln gaben für das fest ein, ganz wie bei den esten die frauen und mädchen es am abend des Katharinentages (d. 24. novem- ber) tun. Gespendet w ird geld, eier, butter, schnaps, Stoff etc.
Nachdem die frauen bei allen Verehrern die runde ge
macht, beginnt das eigentliche fest. F ür das eingesammelte geld wird schnaps gekauft, der eingesammelte speisevorrat wird in natura verwertet. W as mit den eingesammelten kleiđungs- stücken geschieht, habe ich nicht erfahren können.
Sobald die feier beginnt, m achen sich die gäste ans essen und. trinken. E s heisst, in alten Zeiten musste man in E st
land in der heiligen nacht 9 mal essen. Ich will nicht be
haupten, dass man am Pekofest auch 9 mal speist, jedoch dauert das essen mit geringen pausen vom abend bis zum nächsten morgen.
1 Daselbst.
Über den Pekokultus bei den setukesen. 10 7 Das einsammeln der gaben zum Pekofeste weist natürlich au f die Opferidee zurück. In der gegenw art ist die opferidee ganz verschwunden, und an die stelle ist das geniessen der teilnehmer getreten. In der früheren zeit galten alle gaben nur dem Peko, sie wurden nur ihm geopfert, w ährend jetzt die einsamm elnden frauen meinen, sie hätten selbst ein anrecht aufs vertilgen der gaben.
Die Pekofeste finden immer in der nacht statt. Ob sie an einem und demselben datum gefeiert werden, habe ich nicht erfahren können, zweifle jedoch daran. Denn gewöhnlich fin
det das fest in der mondhellen nacht statt. Mondhelle nächte pflegen aber nicht immer an demselben datum einzutreten.
Daher müssen wir annehmen, dass das Pekofest ebenso bew eg
lich ist wie unser Osterfest. E s ist mir nicht gelungen zu konstatieren, ob ausser der mondhellen nacht noch irgend welche andere merkmale bei der bestimmung des Pekofestes in frage kommen.
Bald nach dem untergange der sonne versammeln sich alle Verehrer Pekos zum fröhlichen feste bei demjenigen, bei welchem Peko sich befindet. Jedoch erscheinen sie nicht mit leeren händen, sondern jeder bringt das zum feste notwendige mit. W enn alle zusam m en sind, verhängt der Pekobesitzer die fenster, damit kein unberufenes auge die gäste erblickt. In der mitte des Zimmers wird für die gäste eine lampe angezündet, w enn möglich, eine hängelampe.
Dann nim mt der Pekobesitzer unter assistenz von zwei gästen ein reines bettlaken und begiebt sich zu Peko. Der ,e in e assistent erhält eine laterne, mit welcher er Pekos heilig- tum beleuchten soll, der andere aber muss bei der tür wache halten, damit keine unberufene person die wichtige handlun'g störe. Das erscheinen einer unberufenen person bei dieser ge- legenheit würde nach der m einung der setukesen schw ere fol
gen sowohl für den Pekobesitzer als auch für die feiernden nach sich ziehen.
In der klete nähert sich der hausherr ehrerbietig Peko, umwickelt ihn wie ein kind mit dem laken, nim mt ihn in die arm e und bringt ihn dann zu den gästen. Ehrerbietig empfan
gen alle gäste im zimmer Peko, welcher nun den ehrenplatz im zimmer erhält. Peko wird mitten im zimmer aufgestellt.
1o8 M. J. E ise n .
W enn möglich, wird über ihm eine hängelam pe angezündet, damit der raum gleichmässig hell ist.
W ährend die gäste anfangs dem anköm m ling ehrfurcht erweisen, benehmen sie sich ihm gegenüber bald recht taktlos, wenigstens nach unseren begriffen. Alle gäste nehm en im kreise platz und kehren Peko den rücken zu. Ein jeder öffnet nun seinen „brotsack“, nim m t seine speisevorräte heraus und beginnt seine mahlzeit. Dem Peko wird nichts gegeben.
Nach vollendeter mahlzeit werden die „brotsäcke“ zuge
bunden. D ann stehen alle teilnehmer auf, reichen einander die hände, w enden sich endlich wieder zu Peko und umkreisen ihn. Solch einen reihentanz nennen sie selbst хороводъ (choro- vod). W ährend des rundganges singen alle, bezw. sagen fol
gendes gebet singend her:
Peko mie jumala, Peko, unsere gottheit, Kaidsa sa mie karõkõist, Beschütze unsere herde, Hoija mie hobõsid, Bewahre unsere pferde, Varja mie viläkeist u. s. w Behüte unsere getreide u. s. w .1
Neunmal wird au f diese weise der reihentanz aufgeführt und dabei immer gesungen. Dann verlassen alle anwesenden das zimmer und begeben sich auf den hof, um die entschei- dung zu treffen, wo Peko für das nächste jah r sein heim er
halten soll. Hierbei soll über Pekos wohl und weh gleichsam das los geworfen werden. Jedoch ist es kein los im gew öhn
lichen sinne, sondern ein los von ganz eigentümlicher art.
Auf dem hofe beginnt unter den anw esenden das ausge
lassenste treiben. E s m acht den eindruck, als ob die jugend nach stundenlangem stillsitzen ins freie gelassen wäre. Die einen springen, die anderen kämpfen, die dritten laufen, kurz, alle benehmen sich wie die unbändigen knaben.
Jedoch hat das ausgelassene treiben nur einen zweck, nämlich blut zu bekommen. Sonst heisst es, dass der teufel immer blut verlangt. Mit demselben verlangen tritt auch Peko zu seinen Verehrern. Eigentlich ist es falsch zu sagen, dass Peko blut verlange. Blut wollen die Verehrer selbst ihrem ab
1 Leider ist es mir nicht gelungen, das gebet vollständig zu erhalten.
Über den Pekokultus bei den setukesen. 109
gott opfern. Das blut soll entscheiden, w er von den gästen anspruch darauf m achen kann, Peko das ganze nächste jah r bei sich zu beherbergen. Derjenige gast, bei welchem zuerst blut zum Vorschein kommt, hat das recht und die pflicht Peko seine räum e für das nächste jah r zu öffnen. Jedoch muss das blut der betreffenden person zufällig zum vorcheine kom m en;
die person muss zufällig irgendwie verletzt werden, resp. seine haut muss irgendw o geritzt werden, sodass das blut sichtbar wird. Dann ist der Würfel gefallen.
Der m ann, welcher sich geritzt hat, kann nun mit vollem recht Peko heimführen. E s sei noch bemerkt, dass es niem an
dem einfällt seinerseits das erscheinen des blutes zu befördern.
Das absichtliche ritzen der haut oder das absichtliche hervor
rufen des blutes gilt allgemein für eine grosse sünde. Eine solche sünde will niemand begehen, denn w enn jem and durch lug und trug Peko auf ein jah r zu seinem hausgenossen be
käme, würde der neue hausgenosse ihm durchaus nicht nützen, sondern vielmehr beständig schaden zufügen. Ein jeder w ünscht jedoch von Peko segen zu erlangen, und segen erlangt nur derjenige, dessen blut ohne eigenes zutun irgendwie zum Vor
scheine kommt.
W enn bei irgend einem festgenossen nun zufällig blut erscheint, dann entsteht gleich eine allgemeine freude. Der be
treffende kündigt selbst mit lauter stimme die freude a n : veri, veri väijas ’blut, blut ist erschienen’. Sofort hört das ausge
lassene treiben auf, und alle eilen zu dem blutenden, um ihm zu gratulieren. Sollte der betreffende sich auch erheblich be
schädigt haben, so sieht er doch mit geringschätzung auf seine Verletzung, in der Überzeugung, dass die Verletzung ihm nur zum segen dienen kann, denn nun zieht Peko in seine klete ein und mit Peko segen und gedeihen.
Nachdem Peko für das nächste jah r einen neuen besitzer erhalten, begeben sich alle wieder ins haus, um die feier fort
zusetzen. Doch ist die hauptfeier schon vorbei. Nun denkt der neue besitzer noch daran, wie er am besten Peko in sein haus schaffen kann. E r wickelt Peko bald in das laken und trägt seinen schätz bald fröhlich heim.
Wo Peko im hause verweilt, ist segen und gedeihen.
W ohl beschützt und behütet Peko alle seine Verehrer, aber am
I I O H . Pa a s o n e n.
meisten doch seinen besitzer oder hausherrn, welcher ihn da
für auch wie seinen augapfel hütet. Namentlich fürchtet man, dass die nichtsetukesen dem Peko irgendwelchen Schabernack spielen könnten, w enn sie zu Peko gelangen würden. Von seiten der setukesen selbst braucht Peko nichts żu befürchten, denn allen letzteren gilt er als eine gottheit. Die esten aber machen sich über Peko lustig und versuchen mit ihm verschie
dene experimente anzustellen. Einst traf ein junger este auf dem felde zufällig den abgott der setukesen. Der junge m ann wollte sehen, wie Peko sich wohl ohne nase gebärden w ürde:
er schnitt ihm die nase ab. Gross w ar das entsetzen des Pekobesitzers, als er nach einer weile zu seinem abgott kam und ihn da ohne nase vorfand.
Damit Peko den feldern mehr gedeihen gebe, muss er zuweilen sein dunkles heim verlassen und sich mit seinem hausherrn zusam m en aufs feld begeben. Segensreich wirkt nach der annahm e der setukesen Pekos anw esenheit auf dem felde, namentlich w ährend der Saatzeit. Wird unter Pekos an
wesenheit gesät, dann hoffen die setukesen au f eine ganz be
sonders reiche ernte. Aber auch bei anderen gelegenheiten wird Peko zuweilen aufs feld gebracht. Auf dem felde betet man vor Peko und macht ihm viele bücklinge, damit er um so m ehr gedeihen gebe. Vor einiger zeit sah ich selbst, schreibt G. Sander, wie zur zeit der flachsaussaat der sohn eines Peko
besitzers eine stunde weges zu seinem vater ging, um erkun- digungen einzuziehen, w o der vater den abgott auf dem felde versteckt habe. Als er vom vater die betreffende stelle erfah
ren hatte, ging er zurück, suchte den Peko auf, fiel vor ihm nieder, betete ihn an und dann erst machte er sich an die arbeit.
Nicht überall auf dem felde kann Peko seinen aufenthalt nehmen. Nach der m einung der Verehrer soll Peko besondere stellen lieben, namentlich aber bäume und gebüsche, welche ihm schütz vor unberufenen äugen gew ähren. Solche stellen, wo Peko sich gern im freien aufhält, nennt man „Pekos stel
len“. Die setukesen selbst glauben, dass solche stellen eine wundertuende kraft besitzen. Einst soll ein brautpaar an einer solchen stelle vorbeigefahren sein, Plötzlich konnten die pferde nicht weiter. Der bräutigam stieg aus und w arf ein
Der name d. stadt Kasan. 1 1 1
geldstück nach Pekos stelle. Gleich darauf konnte das braut- paar die fahrt fortsetzen. Das opfer hatte alle hindernisse beseitigt.
Bei verschiedenen gelegenheiten wird für Pekos stellen geopfert, bald geld, bald salz, bald irgend etw as anderes.
Solche opfer bringen nach der m einung der setukesen den opfernden segen. Die setukesen behaupten ferner, dass Härma und Tsirgu, dörfer, in welchen der Pekokultus am meisten blüht, von allen grösseren unglücksfällen verschont bleiben.
Kronstadt.
M. J. Eis e n,