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Die Schicksalsseele SEELE UND SCHICKSAL

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Academic year: 2022

Jaa "Die Schicksalsseele SEELE UND SCHICKSAL"

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SEELE UND SCHICKSAL

MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DER FINNISCH- UGRISCHEN VOLKSRELIGIONEN

Von IVAR PAULSON (t)

Das Schicksal ist gewöhnlich als eine dem Menschen fremde, an ihn von aussen herantretende und ihn überfallende Macht aufgefasst worden, d. h.

als Inbegriff alles dessen, was ihn ohne sein eigenes Mitwirken trifft und mit sich reisst: z. B. in den volklichen Vorstellungen über die vorausbe- stimmte Lebensdauer, das Glück und Unglück, die wechselnden Geschicke während der Lebensdauer. Dabei ist es, besonders in den sog. Hochreligio- nen bzw. Schriftreligionen oft zu einer Auseinandersetzung zwischen Schicksalsglauben und Gottesglauben gekommen, wobei der erstere mitun- ter als Glaube an das Walten einer mehr oder weniger unpersönlichen oder auch nur ganz vage personifizierten Macht auftritt, deren Zwang das Welt- geschehen und Menschenleben unterworfen sind. In dieser Fassung unter- scheidet sich der Schicksalsglaube vom Gottesglauben, der in allem die Auswirkung eines persönlichen höheren Wesens oder auch vieler solcher Wesen sieht. Die Frage, wie sich Schicksalsglaube und Gottesglaube zueinan- der verhalten, ob das Schicksal der Gottheit unter- oder übergeordnet ist, ob beide einander nebengeordnet sind, oder ob die Gottheit das Schicksal in sich aufnimmt, all dies soll hier nicht behandelt werden. Die Religions- geschichte bietet für alle diese Typen Beispiele genug, auch für ihre Mi- schung innerhalb derselben Religion.

Meine Aufgabe soll hier eine mehr bescheidene und begrenzte sein. Ich hoffe nämlich auf Grund einiger ausgewählten Beispiele aus einer Reihe nordeurasischer, besonders finnisch-ugrischer Volksreligionen, den Nach- weis führen zu können, dass es im Glauben dieser Völker neben der oben

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kurz angedeuteten Auffassung vom Schicksal als einer dem Menschen fremden, an ihn von aussen herantretenden Macht, welches Glaubensgebiet hier nicht näher dargestellt werden kann, noch eine andere gegeben hat, die das menschliche Geschick und Lebenslos eng mit der Person oder Persön- lichkeit bzw. dem Charakter des Menschen selbst, nämlich der Seele als Träger und Inbegriff der Persönlichkeit, verbunden hat. Als Schlüsselwort dieser volklichen Auffassung habe ich den Begriff Schicksalsseele gewählt, um damit die enge Verbundenheit des Schicksalsglaubens mit der Seelenvor- stellung hervorzuheben.

Zur Verdeutlichung des Zusammenhanges zwischen Schicksal und Seele muss ich zuerst kurz auf die Forschungsresultate zurückgreifen, die im Bereich des volklichen Seelenglaubens, d. h. in der Erforschung der Seelen- vorstellungen bei Naturvölkern sowie in einer Reihe von Volksreligionen er- zielt worden sind, wobei ich mich besonders auf die Arbeiten aus dem Kreise der Stockholmer Religionsforscher (Ernst Arbman, Ake Hultkrantz, Ivar Paulson) berufe.'

Die Seelenvorstellungen der nordeurasischen Völker sind von mir a. a. 0.

früher näher untersucht worden. Die Aufmerksamkeit war dabei vor allem auf die Vorstellungen von der Seele oder den Seelen des lebenden Menschen gerichtet. Die eingehende Bestandsaufnahme und Analyse des Materials hat in diesem Grossraum generell zum gleichen Ergebnis geführt, wie es früher für verschiedene andere Gebiete und Kulturen der Erde (Arbman), für Afrika (Ankermann)2 und für Nord-Amerika (Hultkrantz) festgestellt worden ist: die Seelenauffassung hat sich als eine durchgehend dualistische oder dualistisch-pluralistische erwiesen, die von grundlegend verschiedenen Seelenelementen gebildet wird, d. h. der sog. Freiseele einerseits und den

1 E. Arbman, „Untersuchungen zur primitiven Seelenvorstellung mit besonderer Rücksicht auf Indien" I—II, Le Monde Oriental 20-21, Uppsala 1926-1927; A.

Hultkrantz, Conceptions of the Soul among North American Indians. A Study in Religious Ethnology. (The Ethnographical Museum of Sweden, Stockholm (Statens Etnografiska Museum), Monograph Series, Publication No. I), Stockholm 1953;

I. Paulson, Die primitiven Seelenvorstellungen der nordeurasischen Völker. Eine reli- gionsethnographische und religionsphänomenologische Untersuchung (The Ethnogra- phical Museum of Sweden, Stockholm (Statens Etnografiska Museum), Monograph Series, Publication No. 5), Stockholm 1958.

2 B. Ankermann, "Totenkult und Seelenglaube bei afrikanischen Völkern", Zeitschrift für Ethnologie 5o, Berlin 1918. Vgl. nunmehr auch H. Fischer, Studien über Seelenvorstellungen in Ozeanien, München 1965.

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sog. Körperseelen andererseits, wie ich sie nach der Terminologie meiner Vorgänger auf dem Forschungsgebiet des Seelenglaubens (z. B. schon Holmberg-Harva,1 besonders aber Arbman und Hultkrantz) benannt habe.

Mit Freiseele ist das freie, ausserkörperliche Erscheinungsbild des Indi- viduums gemeint, sein zweites Ich (alter ego), das sich bereits zu Lebzeiten gelegentlich und zeitweilig vom Körper trennen und ein selbständiges Dasein führen kann. In der Literatur ist sie auch Bildseele oder Schattenseele be- nannt worden, da ihre Erscheinungsform oft dem Abbild oder Schatten gleicht. Sie manifestiert sich nur als eine ausserkörperliche Seele in passiven, inaktiven Zuständen des Eigentümers, z. B. im Traum als sog. Traumseele, in Extase und Trance (z. B. beim Schamanen) als sog. Tranceseele, und im sog. Seelenverlust — öfters im Zusammenhang mit verschiedenen Krank- heiten — als sog. verlorene Seele. Die Freiseele hat die Grundlage für die Vorstellung von der Schicksalsseele gebildet. Die letztere ist, wie wir noch an Hand einer Reihe von Beispielen sehen werden, nichts anderes als eine in gewissen schicksalsschweren Situationen in Erscheinung tretende Frei- seele, die sich als ein Wesen mit eigener Macht und Mündigkeit in Gestalt der ausserkörperlichen Erscheinungsform des Menschen ihm selbst oder anderen Menschen zeigt. Dabei bildet der Doppelgänger oder die sog. Dop- pelgängerseele eine interessante Zwischenform. Sie ist eine in ominösen Situationen in Erscheinung tretende Freiseele, jedoch nicht von der Dauer und lebenslänglichen Bedeutung der Schicksalsseele. Unten werden diese beiden Formen der Freiseele, Doppelgänger und Schicksalsseele je für sich näher betrachtet.

Die Körperseelen sind von keinem grösseren Belang für unser Thema. Als Träger und Inbegriffe der verschiedenen physischen und psychischen Lebensfunktionen können sie nur in einem mehr bedingten und indirekten Sinne "Seelen" genannt werden, da sie ja eigentlich in der primitiven Pneu- matologie Vorstellungen von Lebenskraft oder Lebenskräften zum Ausdruck bringen und — wenigstens ursprünglich — wahrscheinlich nicht als gestalt- hafte seelische Wesen aufgefasst worden sind. Wenn die Körperseelen, d. h.

die während des Lebens in der Regel an den Körper gebundenen Lebens- potenzen, nicht in dem für uns geläufigen Sinne als „Seelen" bezeichnet

1 U. Holmberg, Gudstrons uppkomst, med särskild hänsyn till de finsk-ugriska folkens religiösa föreställningar. Uppsala 1917, p. 25.

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werden können, die die Persönlichkeit des Menschen auszudrücken und zusammenzufassen vermögen, so steht die Freiseele als eine lebendige, vi- suelle und gestalthafte Anschauung vom Menschen in dessen ausserkörper- licher Erscheinungsform da, die als ein durchaus personenhaftes Wesen die Persönlichkeit des Eigentümers mit allen ihren Eigenschaften, darunter auch der Macht des Individuums trägt und in dieser Stellung leicht als ein dem Menschen gegenüber selbständiges, sein Schicksal bestimmendes Wesen, d. h. als Schicksalsseele, aufgefasst werden kann.

Von den für unser Thema bedeutsamen Gestaltungen der Freiseele wäre zuerst die sog. Doppelgängerseele oder der Doppelgänger zu erwähnen. Die Manifestation des Doppelgängers ist oft als ein ominöses Vorzeichen für das Schicksal desjenigen Menschen gedeutet worden, den er repräsentiert. Zum genetischen Zusammenhang zwischen den Vorstellungen von der Freiseele und der Doppelgängerseele hat Arbman die folgende Charakterisierung gegeben: „Eine andere Form der externen Seele [d. h. Freiseele] ist die neben und unabhängig von dem Menschen und seinen gewöhnlichen Seelen existie- rende und als sein treues Ebenbild aufgefasste ‚Doppelgängerseele'. Auch diese ‚Seele' ist oft mit dem Menschen durch ein Verhältnis sympathischer Re- ziprozität verbunden ..."1 „Die Sonderung zwischen Psyche [d. h. Freiseele]

und Individuum hat nur hier zu einer weiteren Objektivierung der erstgenann- ten geführt. In der bei mehreren Völkern vorkommenden Doppelgänger- seele, die als eine geistige Dublette des Individuums eigene Existenz neben und unabhängig von diesem, obgleich in engem Kontakt mit ihm stehend, besitzt ..., hat die berührte Entwicklung [d. h. von der Freiseele zu weiteren Seelenformen] ihre Spitze erreicht. Ich sehe also in dieser Seelenform keine selbständige und unabhängige Erscheinung, sondern nur einen Ableger der Psychevorstellung [d. h. Freiseelenvorstellung]."2 — Zu Arbmans Aus- führung wäre hier nur zu bemerken, dass mit Entwicklung im Bereich der Seelenvorstellungen stets nur eine ideologisch-genetische Ableitung der einen Vorstellung von einer anderen gemeint sein kann, und dass ferner die

„Spitze" in diesem Sinne vielmehr in der Vorstellung von der Schicksals- seele als im Doppelgänger anzunehmen wäre.

Die Doppelgängerseele ist tatsächlich als eine Variante der Freiseele zu

1 Arbman, op. cit. I, p. 132, Anm. 1.

2 Arbman, op. cit. I, p. 139, Anm. 1.

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betrachten, wie es aus vielen Beispielen erhellt werden kann. Der Doppel- gänger erscheint, wie ja auch die Freiseele, oft als ein Ebenbild des Men- schen, als sein schattenhaftes oder „luftiges" ausserkörperliches Abbild, wie es in den Angaben öfters heisst. Mit der Freiseele teilt der Doppelgänger auch die grosse Verwandlungsfähigkeit, d. h. die Fähigkeit, verschiedene Gestalten anzunehmen: bald als Mensch (gewöhnlich in der Gestalt des Eigentümers), bald als Tier oder Vogel zu erscheinen. Zum Unterschied von der Freiseele tritt der Doppelgänger aber stets zugleich mit dem wachen und aktiven Individuum, jedoch an einem anderen Orte auf als da, wo der Mensch sich selbst befindet. Nach zahlreichen Mitteilungen geschieht dies kurz vor dem Tode des Betreffenden, weshalb das Inerscheinungtreten der Doppelgängerseele oft als ein Todesvorzeichen gedeutet worden ist. Man sieht einen Menschen kurz vor seinem Tode, oder in seinem Todesaugen- blick, an einem anderen Orte, als wo er sich tatsächlich körperlich befindet.

Seine Freiseele hat sich von ihm getrennt und ist auf dem Weg ins Jenseits, wie es die volkliche Pneumatologie öfters erklärt. Aber auch in anderen schicksalsschweren Lebenslagen und Situationen, z. B. bei Krankheitsfällen mit Seelenverlust, kann die Seele als Doppelgänger erscheinen, womit sie zumeist die Unabwendbarkeit des Todes für den Betreffenden vorauskün- digt, zu dem sie gehört.

Der Doppelgänger oder die Doppelgängerseele ist somit eine ausserkörper- liche Erscheinungsform des Individuums, mit dessen Existenz sie eng ver- bunden ist, von dem sie sich aber aus verschiedenem Anlass und Grund (Krankheit, Tod) getrennt und entfernt hat und sich simultan mit der ganz wo anders befindlichen Person anderen Leuten zeigt, womit ein verhängnis- volles Geschick für den Betreffenden bekräftigt oder herbeigeführt wird.

Das Schicksal des Menschen hat sich in dieser Gestalt gewissermassen konkretisiert und verselbständigt, steht aber durch die erwähnte Reziprozität (Arbman) mit der Person noch in sehr enger Verbindung. In diesem Sinne wäre schon der Doppelgänger eine, obwohl temporäre Schicksalsseele zu nennen. Wir wollen aber lieber den Begriff „Schicksalsseele" für diejenige Seelenform behalten, die das Schicksal des Menschen durch das ganze Leben trägt.

Wie bei der Freiseele, so bilden auch bei der Doppelgängerseele subjektive Erlebnisse einerseits und kulturgebundene religiöse Tradition andererseits

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die Voraussetzung. Von den ersteren kommen verschiedene visuelle und au- ditive Halluzinationen und Illusionen in Betracht, d. h. psychische Zustände, die mit leichter Trance in Verbindung gebracht werden können. Der tradi- tionelle Seelenglaube, d. h. kulturgebundene Seelenvorstellungen einer Volksreligion, findet bereits darin einen Ausdruck, dass die Freiseele oft

„Doppelgänger" genannt worden ist. Zur eigentlichen Doppelgängerseele wird die Freiseele jedoch nur in einer bestimmten Situation, wenn sie als ein gegenüber der Person frei und selbständig gedachtes Wesen mit eigener Existenz und zugleich mit dem wachen und aktiven Individuum — aber an einem anderen Orte als dieses — in Erscheinung tritt.

Eine scharfe Grenze zwischen den beiden artgleichen Vorstellungen - Freiseele und Doppelgänger — kann natürlich nicht immer gezogen werden.

In ihrer Struktur sind sie ja einander so verblüffend ähnlich bzw. miteinander identisch, da sie beide doch auf die gleiche ausserkörperliche Erscheinungs- form des Menschen zurückgehen. Dabei haben sie jedoch ihre eigenen und gerade für sie charakteristischen Funktionen, die aus den besonderen Situa- tionen herauswachsen, in denen sie auftreten. Auf Grund seines nordameri- kanischen Materials hat Hultkrantz bemerkt, dass es nicht immer leicht ist zu entscheiden, ob die Doppelgängerseele bei einem gewissen Volk, in seiner Volksreligion und deren Glaubensvorstellungen, mit der Freiseele als unmittelbar und direkt identisch aufgefasst worden ist, d. h. als eine beson- dere Situationsform der letzteren, oder ob es sich um zwei konzeptionell verschiedene, tatsächlich aber genetisch-ideologisch voneinander abhängige, herleitbare Seelenvorstellungen handelt. Darum ist es auch nicht leicht, die Verbreitung und Tragweite der Doppelgängervorstellung genau festzustel- len.1 Genau dieselbe Schwierigkeit begegnet uns in Nordeurasien, von wo wir nun einige Beispiele herausgreifen wollen.

Die Freiseele kann in Gestalt eines selbständigen „Begleitergeistes" auf- treten, der in gewissen ominösen Situationen als Doppelgänger des Menschen erscheint. So berichtet z. B. Itkonen: „Die Renntierlappen von Inari nehmen an, jeder Mensch habe einen ihn begleitenden Geist (fārrosâš von dem Wort fārru „Reise, Reisebegleitung") ... Der f. kann zuweilen ein Vorzeichen oder Doppelgänger (ov'dâsâ'š K. [Koltalappen] ovdkas) werden; er kann ihn vor

1 Hultkrantz, op. cit., p. 356.

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Unglück schützen, aber auch dem Verderben entgegenführen. Wenn man in einer Ödkote allein ist, kann es geschehen, dass man jemanden vor die Kote fahren hört, aber niemand kommt. Erst nach langer Zeit tritt ein Mensch ein. Der Doppelgänger war sein fārrosâš, und man meint, das Gehörte sage dem Ankömmling Schlimmes voraus. Mitunter sieht man auch, dass der f. seinem Besitzer ähnlich ist, unter anderem nach dessen Tode; der f. bleibt auf der Erde und ist unsterblich. Er kann auch auf das Kind seines Besitzers übergehen. Der f. oder o. ist der Herr des Menschen und als solcher aufrichtig, er gerade hält das Gewissen (oame-tov'du) rege.

An erster Stelle steht der f., an zweiter das Gewissen, erst an dritter steht der Mensch selber. Das Gewissen wohnt dem Menschen inne und ist ihm in allem voraus, der f. lebt überhaupt nicht im Menschen. Mittels des f. kann man zu einem Schlafenden oder Verstorbenen reden, zu ersterem am besten dann, wenn er sehr ermüdet in festem Schlafe liegt. Jemand, der sich geheime Kenntnis, z. B. über einen Renntierdiebstahl zu verschaffen sucht, schleicht sich an den Schlafenden heran und fragt flüsternd. Dann antwortet der f. des Schlafenden."'

Diese komplexe Vorstellung vom „Reisebegleiter-Geist" der Renntier- lappen von Inari weist in ihrer Struktur und ihren Funktionen sehr ver- schiedene phänomenologische Züge auf, die teils an die Freiseele, unter anderem als Traumseele, (der f. sieht seinem Besitzer ähnlich und antwortet im Schlafe), teils auf die spezifische Situationsform des Doppelgängers, bzw. der Freiseele als Doppelgängerseele erinnern, teils aber auch darauf hinweisen, dass wir es mit einer bereits verselbständigten Schutz- oder Schicksalsseele bzw. einem Schutzgeist des Menschen zu tun haben, der

„überhaupt nicht im Menschen lebt", diesen vor Unglück schützen, ihn aber auch dem Verderben entgegenführen und auf das Kind seines Besitzers übergehen kann. Der f. oder o. wird ja ferner auch als Herr des Menschen bezeichnet, was darauf beruhen kann, dass man ihm eine grössere Macht zugeschrieben hat als sie der Mensch selbst besitzt. Letzteres ist aber ein besonderes Charakteristikum der sog. Schutz- oder Schicksalsseele bzw. auch des Schutzgeistes. Die Verankerung in der Seelenvorstellung kommt dabei

1 T. I. Itkonen, „Heidnische Religion und späterer Aberglaube bei den finnischen Lappen", Mémoires de la Société Finno-ougrienne 87, Helsinki 1946, p. 162.

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jedoch wiederum darin zum Vorschein, dass der f. als eine überlebende Seele bzw. als Totengeist des Menschen aufgefasst worden ist.1

An diesem Beispiel, das wir gerade darum als Auftakt für unsere kurze und flüchtige Illustrationsreihe ausgewählt haben, kann die Problematik ersehen werden, die einer näheren phänomenologischen Analyse bei der Herausschälung der verschiedenen Vorstellungselemente in der volklich oft so komplexen Anschauung von der Freiseele als Doppelgänger, als Schutz- oder Schicksalsseele und überlebende Seele bzw. Totengeist begegnet.

Dabei muss immer noch zugleich in Erwägung gezogen werden, dass es sich auch um einen selbständigen, soz. von aussen erworbenen Schutzgeist han- deln kann, der gar nicht auf die Seelenvorstellung zurückgeht. Beim fārrosâš

oder ov'dâsâ'š (ovdkas) der Lappen kann diese letzte Grundlage jedoch an Hand verschiedener struktureller und funktioneller Merkmale mit vollem Recht in Erwägung gezogen werden. Anders verhält es sich z. B. mit den Begleitergeistern oder „Gefährten" (kaD'Dze) der Koltalappen, die zumeist als tiergestaltige Schutzwesen den einzelnen Sippen, Familien und deren verschiedenen Mitgliedern sowie besonders den Zauberern (Schamanen, als noaid-k.) angehören und eine eigene Kategorie von selbständigen Schutz- geistern bilden.2

Itkonen weist darauf hin, dass fārrosâš der Renntierlappen von Inari vielleicht dasselbe sein kann wie ihre Vorstellung vom personifizierten Glück des Menschen, oassi (finn. osa), „Teil, Anteil, Los, Glück" und bringt dazu als Illustration eine koltalappische Sage: „Einst waren Männer aus Suonikylä beim Holzhacken im Walde. Einem armen Manne träumte im Schlaf, dass die anderen schon zum Holzfällen gegangen wären. Er eilte zu ihnen, kannte aber keinen von ihnen. Er fragte sie, wer sie seien. Sie antworteten, sie seien das Glück der und der Männer. Er kannte die betreffenden Männer, da sie seine Arbeitsgefährten waren. Dann fragte er: „Wo ist denn mein Glück?"

„Dort schläft es." Der Mann nahm einen Stock, begann den Schlafenden zu verprügeln und sagte: „Ach du schläfst, und die anderen arbeiten." Der Schlafende richtete sich auf und bat: „Schlag mich nicht, ich werde arbei- 1 Vgl. I. Paulson, „Seelenvorstellungen und Totenglaube bei nordeurasischen Völkern", Ethnos 196o: 1-2. (Autorisierter Wiederabdruck in C. A. Schmitz [hrsg.], Religions-Ethnologie, Frankfurt a. M. 1964, pp. 238-264.)

2 U. Harva, „Skoltlapparnas 'följeslagare"`, Festskrift til Rektor J. Ovigstad, Tromsø 1928; Itkonen, op. cit., pp. 163 f.

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ten". Danach begann das Glück jenes Mannes „zu leben", und er wurde reich."1 Der Unterschied zwischen dem „Begleitergeist" (fārrosâš und dem personifizierten Glück (öassi) ist jedoch schon aus ihrer Gestaltstruktur zu ersehen: der erstere gleicht im Aussehen dem Menschen, was auf seine genetisch-ideologische Verankerung in der Freiseelenvorstellung hinweist, das letztere ist aber von einem ganz anderen Aussehen als die betreffenden Männer, zu denen es gehört, weshalb man es vielmehr für einen selbstän- digen Schutzgeist halten könnte.

Der nahe Zusammenhang zwischen dem Schutzgeistglauben und der Anschauung vom personifizierten Schicksal bzw. Glück des Menschen geht auch aus dem finnischen Volksglauben hervor, wo das letztere mit verschie- denen Synonymen benannt worden ist, die auch den Schutzgeist des Men- schen bezeichneten, so z. B.: onni („ Glück"), lykky (schwed. lycka, „Glück"), säästi, tsāāsti (russ. tšästje, „Glück"), osa („Teil, Anteil, Los, Glück, Rolle"), luonto („Natur, Charakter"), wobei alle diese Bezeichnungen im Volksglauben und in der Volksdichtung auch für „Schicksal" und „Schutzgeist" ge- braucht worden sind.1 Die Verankerung des Schicksalsglaubens liegt aber hier nicht direkt im Seelenglauben vor, sondern vielmehr im Schutzgeist- glauben, der jedoch seinerseits verschiedene Berührungspunkte zu den See- lenvorstellungen aufweist.

A. Vilkuna hat in seiner Untersuchung über die sog. Ausrüstung des Menschen für seinen Lebensweg im finnischen Volkslauben eine Reihe wichtiger Werte zusammengefasst, die im Zusammenhang mit der Gefahren- periode des Kleinkindes und bei deren Abschluss klar zum Ausdruck kamen: i. Name, z. Schutzgeist, 3. äussere Gestalt, 4. Charakter, 5. Schick- sal, 6. Glück. „Sie bilden eine geschlossene Gesamtheit, die man als Grund- lage der Individualität des Menschen bezeichnen kann. Die erwähnte Komponente schützt den Menschen und bestimmt den Verlauf seines Le- bens", fasst er zusammen.3 Den Zusammenhang zum Seelenglauben hat er

1 Itkonen, op. cit., p. 163.

2 K. Krohn, "Suomalaisten runojen uskonto", Suomensuvun uskonnot I, Helsinki &

Porvoo 1914, pp. 164 ff.; M. Haavio, Suomalaisen muinaisrunouden maailma, Helsinki 1935, p. 239; U. Harva, Suomalaisten muinaisusko, Porvoo & Helsinki 1948, pp. 255 ff.

3 A. Vilkuna, „Die Ausrüstung des Menschen für seinen Lebensweg", Folklore Fellows Communications, 379, Helsinki 1959, p. 133.

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nicht untersucht, es liegt aber nahe anzunehmen, dass Fäden von jedem dieser Werte in der postulierten Komponente hinüber zu der Seelenvorstel- lung laufen können. Wir wollen hier nur kurz das Verhältnis zwischen Schutzgeist- und Seelenvorstellung betrachten, wobei wir besonders auf ihre Verbindung zum Schicksalsglauben achten.

Die Finnen (und Karelier) haben för die Seele bzw. Freiseele des Men- schen verschiedene Bezeichnungen angewendet, von denen haamu (haamo, hahmo, haahmo, hahmu, haahmu) an erster Stelle steht.1 Sie bezeichnet eine Art „Schattenseele" oder äussere Gestalt des Menschen, die bereits bei Lebzeiten gelegentlich den Körper verlassen und wieder zum Menschen zurückkehren kann, was zuweilen, aber nicht unbedingt, eine Erkrankung des Betreffenden verursachte. Mitunter wurde mit dem gleichen Wort auch der Doppelgänger benannt. „Sein haamu kam früher als er selbst", sagte man, wenn ein Mensch vorher dort erblickt wurde, wo er erst später eintraf.3 Ein schattenhafter Doppelgänger des Menschen hiess im Finnischen auch aave — und man hielt die mit diesem Wort bezeichnete Erscheinung för ein Todesvorzeichen för den Betreffenden, dessen aave an einem Ort gesehen wurde, wo er sich gar nicht selbst befand.3 Aber auch varjo („ Schat- ten"), kuva („Bild") u. a. die Freiseele bezeichnenden Namen wurden för den Doppelgänger gebraucht.4 In der Situationsform des letzteren hat die Seele das Schicksal des Menschen besiegelt.

Dabei wurde im finnisch-karelischen Volksglauben auch der Schutzgeist des Menschen (haltia, haltija) öfters als Doppelgänger aufgefasst.5 Dieser konnte mitunter als varjo-haltia („Schatten-h.") in der Gestalt des Menschen zu dem er gehörte, an einem Ort gesehen werden, wo der Betreffende sich selbst gar nicht aufhielt. Jeder Mensch soll in einem gewissen Alter einen solchen Schutzgeist erhalten, der ihn überall begleitet, seine Vorhaben und Unternehmen begünstigt, zuweilen aber auch hindert, ihn in allem berät

1 Harva, Suomalaisten muinaisusko, pp. 243 ff. Vgl. auch U. Harva, „Ihminen ja hänen hahmonsa", Suomi 5: 10 (193o).

2 Harva, op. cit., P. 244.

3 Harva, op. cit., pp. 245 f.

4 Harva, op. cit., pp. 249 f.

5 Krohn, op. cit., loc. cit.; Harva, op. cit., pp. 251 IT. Vgl. A. Vilkuna, „rober den finnischen haltija 'Geist, Schutzgeist'," The Supernatural Owners of Nature. (Acta Universitatis Stockholmiensis, Stockholm Studies in Comparative Religion 1) Stock- holm, Göteborg & Uppsala 1961, pp. 158 ff.

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und ihm im Traume kommende Dinge vorhersagt. Ein Schutzgeist ist, wie der Mensch, den er beschützt, gross oder klein, stark oder schwach. Nach seiner Gestaltstruktur sowie nach seiner Funktion als Berater im Traume gleicht der Schutzgeist der Freiseele, die ja nichts anderes ist als die ausser- körperliche Erscheinungsform des Menschen und deren wichtigste Situa- tionsform gerade diejenige der Traumseele ist.1 Harva hat den nahen Zu- sammenhang zwischen Schutzgeist- und Seelenvorstellung im finnischen Volksglauben hervorgehoben.2 Beide — Schutzgeist und Freiseele als sog.

Schutz- oder Schicksalsseele — haben ja die gleichen Funktionen gegenüber dem Menschen, zu dem sie gehören. Sie können auch von gleicher Gestalt- struktur sein, d. h. sich in Gestalt der ausserkörperlichen Erscheinungsform des Menschen manifestieren.

Während der Doppelgänger nur in einer bestimmten Situation, gewöhn- lich erst kurz vor dem Tode, das Schicksal des Menschen bestimmt und an- deren Leuten ankündigt, lenkt der Schutzgeist sowie die Schutz- oder Schicksalsseele das ganze Leben lang die Geschicke des Betreffenden. Die Verquickung zwischen Seele und Schutzgeist im Volksglauben geht so weit, dass beide sowohl als temporäre Doppelgänger wie als permanente Schutz- wesen wirken können. Was die wissenschaftliche Theoriebildung mit ihrer phänomenologischen Terminologie auseinanderhalten kann, fliesst im leben- digen Volksglauben oft zusammen. Auch dies weist auf die genetisch- ideologische Verbindung zwischen den Vorstellungsbereichen „Seele" und

„Schutzgeist" hin, wobei beide mit der volklichen Auffassung vom Schicksal des Menschen in Zusammenhang gebracht worden sind. Der finnisch- karelische Volksglaube bietet dafür sehr anschauliche Beispiele in reich- lichem Masse.

Auch bei den Esten hat sich die kurz vor dem Tode vom Körper des Menschen sich trennende Seele (Freiseele) als Doppelgänger gezeigt und damit die Sterbestunde des Betreffenden verkündigt. In Nord-Estland trug die Erscheinung den Namen mardus. Kurz vor dem Tode, so hiess es, soll die Seele (hing, vaim) sich bereits auf immer vom Körper trennen und als mardus erscheinen. In ganz Estland galt es als ein Todesomen, wenn man

1 Paulson, Die primitiven Seelenvorstellungen der nordeurasischen Völker, pp. 290 ff., 311 ff.

2 Harva, Suomalaisten muinaisusko, p. 255.

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den Menschen in seiner ausserkörperlichen Erscheinungsform (als Doppel- gängerseele) dort sah, wo dieser sich gar nicht leiblich aufhielt. „Es war nicht er, sondern bloss sein mardus", sagte man in solchen Fällen in Nord- Estland und hielt es für ein ominöses Vorzeichen für den Betreffenden. Die Seele tritt auch hier in der Gestalt des Menschen als sein Doppelgänger auf und besiegelt dadurch sein endgültiges Schicksal.1

Eine typische Schutz- oder Schicksalsseele ist ort der Syrjänen. Ich habe früher den Nachweis geführt, dass die Syrjänen mit ort ursprünglich die Freiseele bezeichnet haben, die aber im Laufe der Zeit und besonders wohl seit der Christianisierung vor dem christlichen Seelenbegriff gewichen ist.

Der letztere bezeichnet eine einheitliche, monistische Seele, in der Züge von der Freiseele sowie der Körperseele ineinandergeflossen sind und die mit ei- nem Wort bezeichnet wird (lol, lov), das früher im Syrjänischen wohl nur die Lebensseele, d. h. die belebende Körperseele als Atem („Atemseele") be- zeichnet hat.2

Eine der ältesten Nachrichten über den ort der Syrjänen stammt vom rus- sischen Forscher Popov aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts.3 Nach seiner Mitteilung hätten die Syrjänen geglaubt, dass jeder Mensch seinen eigenen, besonderen ort habe, der in der Luft [d. h. ausserhalb des Men- schen] wohnt. Kaum kommt das Kind zur Welt, gesellt sich ihm sein ort bei. Ort nimmt manchmal körperliche Gestalt an, d. h. erscheint in der Gestalt des Betreffenden seinen Freunden und Verwandten. Dann ist der Tod des Menschen, der in dieser Gestalt erblickt wird, nahe bevorstehend.

Ort erscheint besonders in der Nacht und hat ein blaues Flämmchen (ort-bi,

„Seelen-Feuer") bei sich, oder zeigt sich auch nur in Gestalt dieser Flamme.

Durch sein Benehmen, sein Tun und Treiben, zeigt ort an, wessen Tod gerade bevorsteht: z. B. soll sein Erscheinen den nahen Tod des Hauswirtes anzeigen, wenn man ein Hacken hört; soll ein Kind sterben, so tollt dessen 0. Loorits, Grundzüge des estnischen Volksglaubens I (Skrifter utgivna av Kungl.

Gustav Adolfs Akademien för folklivsforskning 18: 1), Lund 1949, pp. 252 ff.

2 Paulson, Die primitiven Seelenvorstellungen der nordeurasischen Völker, pp. 75 ff.

Vgl. auch U. Holmberg, „Permalaisten uskonto", Suomensuvun uskonnot 4, Porvoo 1914, pp. 16 f.

3 N. Popov, „Zyrjane i zyrjanskij kraj", Izvestija Obščestva Ljubitelej Estestvoz- nanija, Antropologii i Etnografii pri Moskovskom Universitete 13: 2, Moskva 1874, pp.

57 ff•

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ort herum wie dieses. Ausser dem Vorhersagen des Todes besteht die Pflicht des Doppelgängers darin, nach dem Tode des Menschen alle Stellen auf- zusuchen, wo der Verstorbene bei seinen Lebzeiten gewesen ist. Ort ist hier als die überlebende Seele oder der Totengeist wohl mit dem Toten bzw.

seiner postmortalen Existenzform identifiziert worden. Die Verbindung des Doppelgängers zur Seelenvorstellung ist hier ganz offenbar.

Am ausführlichsten hat der syrjänische Forscher Nalimov dieses Glaubens- bereich seines Volkes geschildert.' Nach seiner Beschreibung davon hat jeder Mensch seinen Doppelgänger oder sein Schutzwesen, ort, das sich unsichtbar in der Nähe seines Schutzbefohlenen aufhält. Die Gestalt (bzw.

den „Körper") des ort sieht man nur selten. Ein Jüngling hat erzählt, er habe einmal seinen ort gesehen, der ihm bis aufs Haar ähnlich gesehen habe.

Eine Frau wieder hatte den ort ihres Grossvaters gesehen. Ort macht dieselbe Arbeit, wie sein Schutzbefohlener, spielt dieselben Spiele wie dieser und übt andere Tätigkeiten aus, wie der Mensch, zu dem er gehört. Er tut dies so offen, dass alle Umstehenden und der Betreffende selbst ihn hören, manche sehen ihn auch. Ort sagt den Tod des Betreffenden voraus. Zuweilen erfolgt dies in der Manifestationsform des Seelenvogels. Der Vogel fliegt mit Ungestüm ins Zimmer, schlägt dabei mit dem Kopf an die Wand und stirbt, wonach der Mensch, dessen Seelenvogel so umkam, bald sterben wird. Die Syrjänen prüfen solcheinen Vogel aufmerksam. Nach seinen äusseren Merk- malen urteilen sie, wer sterben müsse: ein Mensch oder ein Tier (denn auch diese haben ihren Doppelgänger, der in der Gestalt des Seelenvogels er- scheinen kann) und namentlich wer von ihnen.2

Auch Žakov hat den Doppelgänger der Syrjänen geschildert. Überall, wohin der Mensch geht, folgt ihm sein „Schatten" oder Doppelgänger, ort, der gerade so aussieht, wie der Mensch selbst, ebensolche Kleider trägt, wie dieser. Stirbt der Mensch, so lebt der ort weiter und zeigt sich in Gestalt des Verstorbenen.3

Ort der Syrjänen erscheint in den Berichten als ein vom Menschen

1 V. Nalimov, „Zagrobnij mir po verovanijam zyrjan," Etnografičeskoe Obozrenie 72-73, Moskva 1907.

2 Nalimov, op. cit., p. 13.

3 K. Žakov, „Jazyčeskoe mirosozerčanie zyrjan," Naučnoe Obozrenie 8: 3. St.

Peterburg 1901, p. 17.

10 — 654218 Ringgren

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während des Lebens völlig getrenntes, mit eigenem Willen und Wollen sowie mit eigener, höherer Macht ausgerüstetes übernatürliches Wesen, das nur noch in seiner Erscheinungsform in Gestalt des Menschen, durch seinen Namen, der mit den (Frei) Seelenbenennungen der nächsten Sprachverwand- ten (urt der Wotjaken und ōrt der Tscheremissen),1 sowie durch seine post- mortale Existenz seine Verankerung in der Seelenvorstellung aufweist. Man kann die Erscheinung am besten als Schutz- oder Schicksalsseele bezeichnen.

Diese tritt dem Menschen gegenüber sehr selbständig auf. Sie begleitet ihn wohl überall während seiner ganzen Lebensdauer und nimmt an allen seinen Vorhaben teil, erscheint ihm auch zuweilen im Traume als mahnendes Vor- zeichen, womit sie sein Schicksal lenkt und leitet. Kurz vor dem Tode erscheint sie aber anderen Leuten als Doppelgänger von anthropomorpher oder theriomorpher Gestalt (Seelenvogel), oder auch als Seelenfeuer. Ort ist durchaus ein selbständiges, mit eigenem Willen und Wollen ausgerüstetes und mit eigener übernatürlicher Macht begabtes Schutzwesen, das das Schicksal des Menschen bestimmt. Indem ort aber seine Verankerung in der Seelenvorstellung noch in vielem (besonders in der Gestaltstruktur) bewahrt hat, wächst auch das Geschick des Menschen soz. aus seinem eigenem Seelengrunde hervor.

Diese Beispiele von den finnisch-ugrischen Völkern (Lappen, Finnen und Karelier, Esten, Syrjänen) mögen hier genügen, um im Rahmen des vorlie- genden kurzen Vortrags die Verbindung zwischen Seelenvorstellung, Schutz- geister- und Schicksalsglaube zu illustrieren. Die Verbreitung der sog.

Schutz- oder Schicksalsseele in Nordeurasien habe ich früher näher verfolgt, worauf hier hingewiesen sei.2 Sie ist keine einheitliche und allgemeine. Oft fällt es schwer, eine genaue Grenze zwischen der Schicksalsseele und dem Doppelgänger zu ziehen. In mehreren Fällen kann man auch im Zweifel bleiben, ob es sich um eine Schicksalsseele oder um einen selbständigen Schutzgeist handelt. Je freier und selbständiger sich eine Seele (bzw.

Freiseele) ausserhalb des Menschen bewegt, desto mehr neigt sie dazu, sich

H. Paasonen, „Über die ursprünglichen seelenvorstellungen bei den finnisch- ugrischen völkern und die benennungen der seele in ihren sprachen," Journal de la Société Finno-ougrienne 26, Helsinki 1909 (Sonderabdruck), pp. 17 if.

2 Paulson, Die primitiven Seelenvorstellungen der nordeurasischen Völker, pp. 310 ff.

Sie kommt in Nordasien (Sibirien) z. B. bei den Wogulen und Ostjaken, den Samoje- den (Juraken) und Tungusen vor.

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als ein anderen übernatürlichen Wesen (Geistern) ähnliches Wesen zu äus- sern, was zur Verquickung zwischen Seelenvorstellung und Schutzgeister- glaube beigetragen hat. Obwohl eine Schutz- oder Schicksalsseele auch fernerhin in einer nahen Verbindung zum Menschen bleibt, den sie durch sein Leben begleitet und dadurch sein Lebenslos bestimmt, wird der Zusam- menhang doch lockerer und die Seele selbst zu einem recht eingewilligen Machtwesen, wie es auch die Geister sind, denen gegenüber der Mensch eine religiöse Scheu und Ehrfurcht fühlt und in Kulthandlungen zum Ausdruck bringt. Ihren Ursprung in der Seelenvorstellung verrät ein solches Wesen, die Schutz- oder Schicksalsseele, jedoch auch weiterhin, indem sie mit ihrem Schützling in einer Schicksalsverbundenheit bleibt und in der Regel auch die äussere Gestalt des betreffenden Menschen trägt.

Den Begriff „Schicksalsseele" babe ich auf Grund meines nordeurasischen Materials geprägt. Arbman hat in seiner Untersuchung zum primitiven See- lenbegriff darauf aufmerksam gemacht, dass die Psycheseele [d. h. Freiseele]

mitunter selbständig als eine Art Schutzgeist des Menschen auftreten kann.1 Hultkrantz, der auf Grund seines nordamerikanischen Materials aus dem Gebiet des indianischen Seelenglaubens den Begriff „Schutzseele" (guardian soul), alternativ mit „Kraft- oder Machtseele" (power soul), in die religions- wissenschaftliche Terminologie einführte, hat nach seinen Beispielen fest- gestellt, dass die Freiseele in zwei verschiedenen Situationsformen sich als Schutzseele manifestieren kann: als Traumseele und als Doppelgängerseele.2 Diese beiden Situationsformen kommen auch in Nordeurasien vor und kamen in den oben wiedergegebenen Beispielen zum Vorschein. Jedoch ist die Doppelgängervorstellung in unserem Gebiet durch zahlreichere Angaben belegt als die Situationsform der Freiseele als eine im Traume erscheinende Schutz- oder Schicksalsseele. Weitaus häufiger scheint in Nordeurasien die Schicksalsseele auf eine Freiseele als Doppelgänger zurückzugehen.3

Dabei erinnert sie stark an die von aussen auf das Geschick des Menschen einwirkenden Geisterwesen, die Schutzgeister. Hultkrantz hat die Frage gestellt, inwieweit man bei der Schutzseele mit dem Vorbild der Schutz-

1 Arbman, „Untersuchungen zur primitiven Seelenvorstellung" ... I, pp. 139 f.

Anm. 1.

Hultkrantz, Conceptions of the Soul among North American Indians, pp. 374

3 Paulson, op. cit., pp. 304 ff. und 310 IT.

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geistidee rechnen kann.1 Auch im nordeurasischen Material erscheinen beide

— Schutzgeist und Schutz- oder Schicksalsseele—oft zusammen im gleichen funktionellen Situationszusammenhang.

Alternativ mit dem Begriff „Schutzseele" habe ich für mein nordeura- sisches Material „Schicksalsseele" vorgeschlagen. Die Funktionen eines sol- chen emanzipierten Seelenwesens beschränken sich in meinen Angaben ge- wöhnlich nicht nur auf das Schützen ihres Besitzers. Es bestimmt vielmehr das ganze Schicksal des Menschen sein Leben lang, und zwar entweder zum Guten oder zum Bösen, je nach der Situation, die vielfach wechselt, wie das Lebensios selbst. Dieser ominöse Charakter tritt in mehreren Berichten scharf hervor. Der Unterschied vom Doppelgänger, der ja auch das Schicksal des Menschen durch sein Erscheinen verhängnisvoll bestimmt und verkün- det, liegt darin, dass die Schicksalsseele erstens sowohl Böses wie Gutes bestimmen kann, der Doppelgänger aber in der Regel nur den schlimmen Tod, und zweitens, dass sie es durch das ganze Leben tut, während der Doppelgänger ja zumeist erst kurz vor dem Tode in Erscheinung tritt. Man kann daher sagen, dass die Schicksalsseele zum Unterschied von der mehr passiven Doppelgängerseele ein recht aktives Seelenwesen ist, das durch sein Wirken das Schicksal des Menschen ausschlaggebend bestimmt. Rein phänomenologisch liegt ihm die Freiseelenvorstellung zugrunde, aus der sich genetisch-ideologisch gesehen sowohl die Vorstellung vom Doppelgänger als auch diejenige der Schutz- oder Schicksalsseele entwickelt haben, wobei an keine historisch-evolutionistische Entwicklung gedacht ist. In der volk- lichen Anschauung vom Menschen und seinem Schicksal bilden die ver- schiedenen phänomenologischen Elemente, wie z. B. Seele, Name, Schutz- geist, personifiziertes Glück und Schicksal oft einen recht diffusen Komplex, in dem die einzelnen Vorstellungen nicht immer auseinandergehalten werden.

Indem das Schicksal durch diese Komponente gewissermassen an den Menschen selbst, an seinen Charakter und seine äussere Gestalt (die Frei- seele als ausserkörperliche Erscheinungsform des Menschen!) gebunden wird, erscheint es im Volksglauben nicht nur als eine dem Menschen gegenüber fremde, an ihn von aussen herantretende und ihn überfallende Macht, sondern — neben der gerade geschilderten Anschauung — zugleich

1 Hultkrantz, op. cit., pp. 376 ff.

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auch als eine aus dem Wesen des Menschen selbst hervorgewachsene Grösse. Anders betrachtet könnte man auch sagen, dass das Volk in seiner geistigen Überlieferung hier Stellung dazu genommen hat, inwieweit en- dogene Faktoren neben den exogenen das Schicksal des Menschen bestim- men.

Viittaukset

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