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2. DIE DDR ALS LITERATURGESELLSCHAFT

4.3 Literaturkritik als eine Form der Rezeption

4.3.1 Funktionen der Literaturkritik

Die fundamentale Funktion der Literaturkritik ist die Vermittlungsfunktion.

Literaturkritik vermittelt erstens zwischen Autor und Leser (Massenpublikum), zweitens innerhalb eines Bezugsystems literarischer Distribution und Vermittlung (Verlag, Buchhandel, Bibliothek usw.). (Albrecht 2001: 9)

Da die Öffentlichkeit wichtig für den Vertrieb von Büchern ist, pflegen die Verlage ihre Neuerscheinungen an Zeitschriften und spezielle Rezensionsorgane zu schicken.

Literaturkritik wird werbestrategisch genutzt. Weil das Angebot immer reicher wird,

aber Zeilenumfang und Sendeminuten für Buchbesprechungen dagegen begrenzt bleiben, müssen die Redaktionen auswählen. Der Prozess des Auswahlverfahrens ist zweistufig. Die erste Selektion führen die Feuilleton- oder Senderedakteure aus. In öffentlich-rechtlichen Medien sind die kulturpolitischen Aspekte, in privatwirtschaftli-chen Medien die ökonomisprivatwirtschaftli-chen Gesichtspunkte (Abonnenten, Einschaltquoten) bestimmend. Weitere Kriterien sind persönliche und regionale Neigungen, Autoren- und Verlagsimage, Aktualitäts- und womöglich Sensationswert und Publikumserwartungen.

Die Kehrseite der redaktionellen Auswahl ist eine Ausgrenzung der ungewollten Werke aus verschiedenen Gründen. Im nächsten Schritt des Auswahlverfahrens, in der konkreten Entscheidung, wird das Urteil der Fachleute d. h. der Literaturkritiker (meistens Ressortkritiker) beachtet. Die vermuteten Interessen des Publikums und der Geschmack des Rezensenten treffen die Auswahl. (Albrecht 2001: 9ff)

Der Kritiker ist oft der erste öffentliche Leser der Vorabexemplare oder gedruckten, aber häufig noch nicht ausgelieferten Werke. Nach der Lektüre wird der Kritiker selber zum Autor, zum reproduzierenden Rezipienten (Link 1980: 90), dessen Rezeptionshal-tung veröffentlicht wird und dadurch überindividuelles gesellschaftliches Gewicht gewinnt. Auch wenn die Arbeit des Rezensenten einigermaßen meinungsbildend ist, liegt die wirkliche Macht der Kritik darin, dass sie neben den Verlagen die Funktion eines sogenannten „gatekeeper“ oder Schleusenwärters (Albrecht 2001: 11) übt, d. h.

selegiert, welche Werke und Autoren in die Öffentlichkeit zugelassen werden. Eine lobende oder kritische Rezension scheint keine eindeutige Wirkung auf den Verkauf und den Ruhm eines Werkes zu haben und es mangelt an positivistischer Untersuchung über die Wirkung einer Rezension. Es ist zu bemerken, dass ein wesentlicher Ausschnitt der verkäuflichen und oft massenhaft verkauften Literatur, sogenannte Unterhaltungs-literatur, kaum rezensiert wird. Dagegen können sich unbekannte Autoren mit literarischem Anspruch mithilfe der Kritik Bahn brechen. Als Beispiel dafür nennt Schirrmacher (1994: 409) den 1988 erschienenen Roman Die letzte Welt von Christoph Ransmayr. In diesem Prozess wird eine von den kommunikativen Funktionen der Literaturkritik aktualisiert, nämlich die selektiv informierende Funktion – vom Fluss der Neuerscheinungen werden die rezensionswürdigen oder sonst besprechenswert gehaltenen Werke selegiert.

Auch wenn die Informationsfunktion grundlegend ist, macht sie nicht das ganze Wesen der Literaturkritik aus. Die ideellen, ästhetischen und formalen Aspekte des Werks werden in der Rezension ausgeführt und da kommen die weiteren kommunikativen Funktionen, die Erörterungs- und Urteils- oder Wertungsfunktionen hinzu. Hier werden wiederum allgemein verbindliche oder subjektive Kriterien und Maßstäbe erfordert, die noch umstrittener sind als die im Selektionsvorgang. Erörterungen und Wertungen sind sowohl auf den Leser als auch auf den Autor gerichtet. Für den Leser bieten sie prinzipiell Entscheidungshilfe beim Wählen des Lesestoffs und regen eine Entschlussfassung und Meinungsbildung an. Dem Autor dagegen bieten sie Feedback.

(Albrecht 2001: 34-35)

Neben der in diesem Kapitel schon früher erwähnten, bestimmten grundlegenden Vermittlerfunktion zwischen Literaturproduzent und Literaturrezipient hat Literaturkritik auch weitere, speziellere Aufgaben, nämlich gesellschaftliche, ästhetisch-didaktische und Werbefunktionen.

Teilweise noch bis ins 20. Jahrhundert war „Geschmackbildung“ die leitende Idee ästhetischer Funktionalisierung von Literaturkritik. Sie war vorrangig an den Normen der Klassizität gebunden, die als überzeitlich allgemeingültig betrachtet wurden. Die innovative und völlig unnormierbare Entwicklung der modernen Literatur des 20.

Jahrhunderts leitete zur Entwicklung der Kritikerabsichten von geschmacksbildend zu ästhetisch-didaktischen Funktionen, die unterschiedliche Aufgaben für Autoren- und Publikumsbezüge beinhalten. Die ästhetisch-didaktische Funktion wird heute nicht nur als ästhetische Erziehung des Publikums verstanden, sondern mehr als eine Verständnishilfe, insbesondere, wenn ein innovatives Werk nicht den konventionellen Normen und Leseerwartungen entspricht. Früher wurde konstatiert, dass die Literaturkritik nicht nur zwischen Autor und Leser vermittelt, sondern auch innerhalb eines Bezugsystems literarischer Distribution und Vermittlung. Nach einer neueren Auffassung hat Literaturkritik auch eine Funktion für Literaturproduzenten: sie sollte die qualitativen Schwächen und Stärken der publizierten Literatur zeigen und dadurch die Qualität zukünftiger Buchproduktion fördern. Albrecht führt auch eine wesentliche

Aufgabe der Literaturkritik an, die man eigentlich sowohl zum ästhetischen Funktionsbereich als auch zu den Wertungs- und Erörterungsfunktionen zählen kann, nämlich Talente zu entdecken, unbekannte gute, innovative Autoren und Autorinnen durchsetzen zu helfen. (Albrecht 2001: 35-39)

Albrecht konstatiert, dass die Politisierung der Literaturkritik kein neues Phänomen ist, sie werde seit der Aufklärungsepoche mal mehr, mal weniger betrieben, aber erst in der DDR wurde die Literaturkritik fest in die staatliche Kulturpolitik und Kulturpropaganda integriert. Von der staatspolitisch ideologisierten und dogmatisierten Vermittlerfunktion marxistischer Literaturkritik der DDR lassen sich drei gesellschaftliche Funktionen ableiten, nämlich die politisch-ideologisch orientierende, wie die ästhetisch bildende Einflussnahme auf die Rezipienten, auf die Schöpfer oder Interpreten künstlerischer Werke und auf den Literatur- und Kunstprozess. (Albrecht 2001: 29-31) Das Literatursystem der DDR wird genauer in Kapitel 2 behandelt. Die Politisierung der westdeutschen Kritik wird weiter im Kapitel 4.3.2 behandelt.

Eine Funktion der Literaturkritik, die man viel und oft im kritischen Ton diskutiert, jedoch wenig untersucht hat, ist die Werbe- oder PR-Funktion. Die Verlage wollen und versuchen auch Kritiker als PR-Agenten zu benutzen. Albrecht meint, dass „dieser – vom Kritiker oft ungewollte – Werbeeffekt infolge der Selektionsfunktion schlichtweg zur Eigenheit medienabhängiger und marktwirtschaftlich integrierte Literaturkritik gehört“ (Albrecht 2001: 40). Wie schon früher konstatiert wurde, ist hier gerade die Öffentlichkeit in der Schlüsselstellung, nicht ob ein Werk positiv oder negativ beurteilt wird.

Die Massenmedien sind nach Thomas Anz (s. S. 42) der Schauplatz der Literaturkritik, weshalb Literaturkritik ein Teil von Journalismus ist. So hat auch Literaturkritik eine Unterhaltungsfunktion, die der allgemeinen Funktionen des Journalismus und speziell des Feuilletons entspricht und übernimmt damit auch eine der Funktionen, die Literatur selbst hat. (Anz 2004: 196)